Rechtsnormen: §§ 3,4,8 UWG; Art. 5, 6, 8, 10 VO (EG) 1924/2006 Health Claim VO

Mit Urteil vom 30.04.2013 (Az. 4 U 149/12) hat das OLG Hamm entschieden, dass Werbeaussagen, wonach ein Nahrungsergänzungsmittel „über 7.000 Vitalstoffe“ enthalte und das angebotene Gerstengras „das vitalstoffreichste Lebensmittel der Welt“ sei, den Verbraucher in die Irre führt und somit unzulässig sind.

Zum Sachverhalt:

Die Beklagte bewarb das von ihr via Internetshop vertriebene Nahrungsergänzungsmittel „Original Spiruletten mit Gerstengras“ u. a. wie folgt:

„mit über sage und schreibe 7.000 Vitalstoffen“, „über 7.000 komplett natürliche Vitalstoffe“, „zwei der vitalstoffreichsten Lebensmittel“, „Gerstengras ist nach Meinung vieler Experten das vitalstoffreichste Lebensmittel der Welt“, „Weit über 3.000 Vitalstoffe finden sich in dieser Pflanze, und das in so hoher Menge wie in keiner anderen Landpflanze“, „So liefert Gerstengras beispielsweise fünfmal so viel Eisen wie Spinat, siebenmal so viel Vitamin C wie Orangen, doppelt so viel Kalzium und etwa 30 mal mehr von allen B-Vitaminen wie Milch und … und … und …“, „Die Mikroalge Spirulina platensis besitzt über 4.000 natürliche Vitalstoffe und gehört damit ebenfalls zu den vitalstoffreichsten Pflanzen der Welt“, „Über 7.000 komplett natürliche Vitalstoffe geben Ihnen, insbesondere im Frühjahr, den nötigen Schwung für den Sommer“, „So aßen beispielsweise schon römische Gladiatoren Gerstengras, um ihre Stärke und Ausdauer zu unterstützen.“, „Gerstengras war bereits in biblischen Zeiten als Heilmittel bekannt…“

Der klagende Wettbewerbsverband beanstandete diese Werbung als unzureichend und damit irreführend. Er nahm die Beklagte daher auf Unterlassung in Anspruch.

Nachdem das erstinstanzliche Landgericht Essen dem Unterlassungsanspruch bereits stattgegeben hatte, bestätigte nun auch das OLG Hamm im Berufungsverfahren diese Entscheidung.

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts verstoße die streitgegenständliche Werbung gegen Art. 8 der Health Claim VO (HCVO). Hiernach seien lediglich solche nährwertbezogenen Angaben zulässig, die den in der HCVO festgelegten Voraussetzungen entsprächen. Dies treffe auf die durch die Wettbewerbszentrale angegriffenen Werbebotschaften jedenfalls nicht zu.

Das Gericht führt zur Entscheidungsbegründung aus:

„Bei der streitgegenständlichen Werbung wird angegeben, dass das Mittel „sage und schreibe über 7.000 Vitalstoffe“ bzw. „über 7.000 komplett natürliche Vitalstoffe“ enthalte. Es soll „zwei der vitalstoffreichsten Lebensmittel“ vereinigen. Der Bestandteil Gerstengras soll „nach Meinung vieler Experten das vitalstoffreichste Lebensmittel der Welt“ sein und „weit über 3.000 Vitalstoffe“ beinhalten. Die Mikroalge Spirulina platensis soll „über 4.000 natürliche Vitalstoffe“ besitzen und „damit ebenfalls zu den vitalstoffreichsten Pflanzen der Welt“ gehören. Damit wird das Lebensmittel in besonderer Weise damit beworben, dass es Vitalstoffe, also Nährstoffe und andere Substanzen wie Enzyme, in ganz besonders erhöhter Menge enthalten soll, und zwar im Superlativ in der größten Menge überhaupt. Darunter kann der Verbraucher nur eine ganz besondere ernährungsbezogene oder physiologische Wirkung des Mittels verstehen. Nichts anderes gilt für die Aussage „So liefert Gerstengras beispielsweise fünfmal so viel Eisen wie Spinat, siebenmal so viel Vitamin C wie Orangen, doppelt so viel Kalzium und etwa 30 mal mehr von allen B-Vitaminen wie Milch und … und … und …“. Dass diese Angabe ebenso wie die Werbung mit „zwei der vitalstoffreichsten Lebensmittel“, „… das vitalstoffreichste Lebensmittel der Welt“, „… in so hoher Menge wie in keiner anderen Landpflanze“ und „ … gehört damit ebenfalls zu den vitalstoffreichsten Pflanzen der Welt“ einen vergleichenden Inhalt aufweist, steht der Annahme eines Nährwertbezugs nicht entgegen. Dies ergibt sich aus Art. 9 HCVO. Diese Regelung findet sich wie auch Art. 8 HCVO im Kapitel III der HCVO, das nährwertbezogene Angaben betrifft. Mit den vergleichenden Angaben wird ebenfalls zum Ausdruck gebracht, dass angeblich ein hoher Gehalt an „Vitalstoffen“ bzw. Eisen, Vitamin C, Kalzium, B-Vitaminen besteht. Die Angabe „So liefert Gerstengras beispielsweise fünfmal so viel Eisen wie Spinat, siebenmal so viel Vitamin C wie Orangen, doppelt so viel Kalzium und etwa 30 mal mehr von allen B-Vitaminen wie Milch und … und … und …“ ist eine nähere Erläuterung des Hinweises darauf, dass es sich bei Gerstengras um das vitalstoffreichste Lebensmittel handeln soll. Es geht nach wie vor um besondere positive Nährwerteigenschaften, die durch diese Beispiele veranschaulicht werden sollen. Mit den vergleichenden Angaben soll verdeutlicht werden, dass angeblich ein besonders hoher Gehalt an Vitalstoffen wie Eisen, Vitamin C, Kalzium und B-Vitaminen besteht. (…)

Die nährwertbezogene Werbung mit dem Begriff der Vitalstoffe ist unzulässig. Dieser ist im Anhang zur HCVO nicht aufgeführt. Der Begriff der Vitalstoffe ist unspezifisch und für den wissenschaftlichen Gebrauch ungeeignet, weil er eine große Anzahl verschiedener Substanzen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zusammenfasst. Er wird vielmehr umgangssprachlich und in der Populärliteratur verwendet (vgl. Brockhaus, Ernährung, Artikel Vitalstoffe, 2. Aufl. 2004). Der Begriff eröffnet Möglichkeiten zur Irreführung der Verbraucher. Dies zeigt sich mit Blick auf das von der Beklagten vorgelegte Gutachten des M-Instituts vom 16.09.2004 (Bl. 72 ff. d. A.). Danach entfallen von den mehr als 4.056 Einzelverbindungen der Alge Spirulina platensis mindestens 4.000 auf Enzyme, 10 auf Vitaminarten und 5 auf Mineralstoffe. Mit einer solchen Gewichtung, nämlich der weitaus überwiegenden Anzahl an Enzymen im Vergleich zu Vitaminen und Mineralstoffen, rechnet der Verbraucher angesichts der pauschalen Werbeangabe („über 4.000 natürliche Vitalstoffe“) nicht. (…)

Gem. Art. 6 Abs. 1 HCVO müssen sich nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise stützen und durch diese abgesichert sein. Diese Nachweise müssen vorliegen, sonst dürfen die entsprechenden Angaben nicht gemacht werden. Dass die vorgelegten Gutachten des M-Instituts allgemein anerkannt sind, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Studienergebnisse entsprechen grundsätzlich nur dann den Anforderungen an einen hinreichenden wissenschaftlichen Beleg, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dafür ist im Regelfall erforderlich, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch die Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (BGH, Urteil vom 06.02.2013 – I ZR 62/11 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil – zu § 3 HWG; auch OLG Frankfurt, Magazindienst 2012, 291 m. w. N.).

Ein Schriftsatznachlass zu der Frage, ob in Gerstengras im Vergleich zu der gleichen Menge an Spinat, Milch oder Orangen die genannte höhere Konzentration an bestimmten Nährstoffen vorhanden ist, war der Beklagten nicht zu gewähren. Dies ist nicht entscheidungserheblich. Wie vorstehend ausgeführt, hat die Beklagte weder vorgetragen noch nachgewiesen, dass die betreffenden Nährstoffe oder anderen Substanzen, auf die sich die Angaben beziehen, in einer Form vorliegen, die für den Körper verfügbar ist (Art. 5 Abs. 1 c) HCVO). (…)

Dem Kläger steht gegen die Beklagte zudem ein Anspruch aus §§ 8 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 2; 3; 4 Nr. 11 UWG iVm. Art. 10 HCVO auf Unterlassung der mit den Klageanträgen zu I. 2.1. und 2.2. beanstandeten Werbeaussagen zu. Denn diese verstoßen gegen Art. 10 Abs. 1 HCVO. Nach dieser Vorschrift, die ebenfalls eine Marktverhaltensregelung i. S. v. § 4 Nr. 11 UWG darstellt, sind gesundheitsbezogene Angaben verboten, sofern sie nicht den allgemeinen Anforderungen in Kapitel II und den speziellen Anforderungen im Kapitel IV der Verordnung entsprechen, nach ihr zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommen sind. Gesundheitsbezogene Angaben sind danach nur dann zulässig, wenn sie – erstens – den allgemeinen Anforderungen der Art. 3 bis 7 HCVO und – zweitens – den in Art. 10 bis 19 dieser Verordnung aufgestellten speziellen Anforderungen entsprechen sowie – drittens – gemäß dieser Verordnung zugelassen und in die Liste der zugelassenen Angaben gemäß den Art. 13 und 14 der Verordnung aufgenommen sind (BGH, WRP 2013, 180 – Monsterbacke).

Eine gesundheitsbezogene Angabe ist nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 5 HCVO jede Angabe, mit der erklärt, suggeriert oder auch nur mittelbar zum Ausdruck gebracht wird, dass ein Zusammenhang zwischen einer Lebensmittelkategorie, einem Lebensmittel oder einem seiner Bestandteile einerseits und der Gesundheit andererseits besteht. Der Begriff „Zusammenhang“ in der Definition der „gesundheitsbezogenen Angabe“ ist weit zu verstehen (EuGH, GRUR 2012, 1161 Rn. 34 – Deutsches Weintor). Der Begriff „gesundheitsbezogene Angabe“ erfasst jeden Zusammenhang, der eine Verbesserung des Gesundheitszustands dank des Verzehrs des Lebensmittels impliziert (EuGH, a. a. O., Rn. 35; BGH, WRP 2013, 180).

Die Angabe „Über 7.000 komplett natürliche Vitalstoffe geben Ihnen, insbesondere im Frühjahr, den nötigen Schwung für den Sommer“ (Klageantrag zu I. 2.1.) ist gesundheitsbezogen. Zwar kann sie für sich betrachtet auch als bloße allgemeine plakative Anpreisung zu qualifizieren sein. Sie ist indes im Zusammenhang mit der weiteren Werbeaussage zu werten, die wie folgt lautet: „So aßen beispielsweise schon römische Gladiatoren Gerstengras, um ihre Stärke und Ausdauer zu unterstützen.“ Dadurch wird die Angabe „nötiger Schwung“ mit Stärke und Ausdauer gleichgesetzt. Das bezieht sich auf den Gesundheitszustand. Durch die Worte „geben Ihnen“ wird auch eine Verbesserung des Gesundheitszustands suggeriert.

Die mit dem Klageantrag zu I. 2.2. angegriffene Angabe „Gerstengras war bereits in biblischen Zeiten als Heilmittel bekannt…“ ist ebenfalls gesundheitsbezogen. Dadurch wird zum Ausdruck gebracht, dass ein Zusammenhang zwischen dem Produkt und der Gesundheit besteht, nämlich der Verzehr eine heilende Wirkung haben kann. Die Angabe bezieht sich nicht nur auf die Vergangenheit („biblische Zeiten“), sondern auch auf die Gegenwart, wie sich aus der Verwendung des Wortes „bereits“ ergibt.

Auch für gesundheitsbezogene Angaben gilt die Regelung des Art. 5 HCVO. Nach dessen Abs. 1 c)  muss  der Nährstoff oder die andere Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, in einer Form vorliegen, die für den Körper verfügbar ist. Das hat die Beklagte – wie unter a) ausgeführt – entgegen Art. 6 Abs. 1 HCVO nicht nachgewiesen.

Nach Art. 5 Abs. 1 d) HCVO muss die Menge des Produkts, deren Verzehr vernünftigerweise erwartet werden kann, eine gemäß dem Gemeinschaftsrecht signifikante Menge des Nährstoffs oder der anderen Substanz, auf die sich die Angabe bezieht, oder, wo einschlägige Bestimmungen nicht bestehen, eine signifikante Menge liefern, die nach allgemein anerkannten wissenschaftlichen Nachweisen geeignet ist, die behauptete ernährungsbezogene Wirkung oder physiologische Wirkung zu erzielen, hier also zu einer Verbesserung von Stärke und Ausdauer zu führen bzw. eine Heilung von Krankheiten zu bewirken. Auch das hat die Beklagte nicht nach Art. 6 Abs. 1 HCVO nachgewiesen.

Ob die Werbeaussagen auch gegen § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB verstoßen, kann nach alledem dahinstehen.

Die gesetzeswidrige Werbung der Beklagten ist auch geeignet, den Wettbewerb auf dem hier einschlägigen Markt der Nahrungsergänzungsmittel im Sinne des § 3 UWG spürbar zu beeinträchtigen. Denn es geht um das hohe Schutzgut der Gesundheit der Verbraucher. Zu berücksichtigen ist auch das Ziel der HCVO, das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts in Bezug auf nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben sicherzustellen und gleichzeitig mit Blick auf eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung ein hohes Verbraucherschutzniveau zu bieten (vgl. die Erwägungsgründe 1 und 36 der HCVO).“