Rechtsnormen: Art. 5 Abs. 1 GG; §§ 185, 193 StGB

Mit Beschluss vom 20.03.2012 (Az. 2 Ss 329/11) hat das OLG Frankfurt a.M. entschieden, dass der Vergleich eines Polizeiverhaltens mit „SS-Methoden“ von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn Polizeibeamte im Rahmen einer Personenkontrolle beim Kontrollierten das Gefühl einer rassistischen Diskriminierung erwecken.

Zum Sachverhalt:

Wegen Anschlagsdrohungen islamistischer Kreise richtete die Bundespolizei ein verstärktes Augenmerk auf Personen mit anderer Hautfarbe. Im Rahmen einer Personenkontrolle in einem Regionalexpress reagierte der Angeklagte aggressiv und verweigerte sich auszuweisen. Die Beamten folgten ihm bis zu seinem Sitzplatz und griffen nach seinem Rucksack. Der Angeklagte sagte, dass ihn das Handeln der Beamten an etwas erinnere. Die Beamten fragten daraufhin nach, an was ihn das erinnere. Der Angeklagte antworte, es erinnere ihn an die Methoden der SS.  Die Polizisten fragten noch einmal nach, ob der Angeklagte sie beleidigen wolle; dieser verneinte. Ein Beamter forderte ihn nun auf: „Dann sagen Sie doch, dass ich ein Nazi bin.“ Der Angeklagte entgegnete: „Nein, das sage ich nicht.“ Es kam schließlich zur Hauptverhandlung wegen Beamtenbeleidigung.

Das erstinstanzliche Amtsgericht Kassel sprach den Angeklagten schuldig und verwarnte ihn. Es behielt sich die Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen zu je 10,- Euro vor. Der Angeklagte legte gegen dieses Urteil das Rechtsmittel der Sprungrevision zum OLG Frankfurt ein, woraufhin das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil nun aufhob.

Nach Ansicht des OLG könne die Äußerung des Angeklagten hinsichtlich des Handelns der Beamten nur so verstanden werden, als vergleiche er dieses mit den Methoden im NS-Staat. Auch rücke er mit seiner Äußerung die Polizisten in die Nähe von SS-Tätern (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2815 – „Gestapo-Methoden“). Daher sei der Tatbestand der Beleidigung erfüllt. Allerdings komme dem Angeklagten hier der Rechtfertigungsgrund des § 193 zugute.

Das Gericht führt hierzu aus:

„Denn die insoweit vorzunehmende Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen des Ehrschutzes einerseits und des Grundrechts der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG führt im vorliegenden Fall zu einem Überwiegen der Meinungsfreiheit. Nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts geht in Fällen, in denen sich die Äußerung als Kundgabe einer durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinung darstellt, die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Persönlichkeitsschutz vor, und zwar auch dann, wenn starke, eindringliche und sinnfällige Schlagworte benutzt werden oder scharfe, polemisch formulierte und übersteigerte Äußerungen vorliegen, auch wenn die Kritik anders hätte ausfallen können (BVerfGE 54, 129, 138; BVerfG, NJW 1992, 2815; Senat, 2 Ss 282/05). Bei der Beurteilung der Schwere der Ehrverletzung und ihrer Gewichtung im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung ist es von entscheidender Bedeutung, ob die verantwortlichen Beamten persönlich angegriffen werden oder ob sich die scharfe Kritik gegen die angewendete Maßnahme richtete und die Ehrverletzung sich erst mittelbar daraus ergab, dass die Kritik an der Maßnahme auch einen unausgesprochenen Vorwurf an die Verantwortlichen enthielt (BVerfG, NJW 1992, 2815) Eine solche mittelbare Beeinträchtigung der Ehre vermag im öffentlichen Meinungskampf regelmäßig geringeres Gewicht zu beanspruchen, wenn die Auseinandersetzung in der Sache im Vordergrund steht (BVerfG, ebenda). Schließlich ist es mit der grundlegenden Bedeutung der Meinungsfreiheit als Voraussetzung eines freien und offenen politischen Prozesses unvereinbar, wenn die Zulässigkeit einer kritischen Äußerung im Wesentlichen danach beurteilt wird, ob die kritisierte Maßnahme der öffentlichen Gewalt rechtmäßig oder rechtswidrig war, da anderenfalls das von Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Recht, die geltenden Gesetze einer Kritik zu unterziehen, nicht mehr gewährleistet wäre (BVerfG, ebenda).

Nach diesen Maßstäben kann das Urteil des Amtsgerichts Kassel keinen Bestand haben. Insbesondere kommt es nicht maßgeblich darauf an, inwieweit die Personenkontrolle zur Identitätsfeststellung nach den Normen des BPolG rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen ist. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, dass sich die Kritik in erste Linie gegen die angewendeten Maßnahmen, insbesondere die gezielte Auswahl der Person des Angeklagten mit dunkler Hautfarbe sowie die Aufforderung zur Vorlage eines Ausweises richtete. Der Angeklagte, der das dienstliche Vorgehen jedenfalls subjektiv als Diskriminierung wegen seiner Hautfarbe und demgemäß als Unrecht empfand und dies auch nach den Feststellungen gegenüber den Beamten sowie Mitreisenden zum Ausdruck brachte und um Solidarität warb, durfte das polizeiliche Vorgehen daher unter dem Schutz der Meinungsfreiheit einer kritischen Würdigung mit stark polemisierender Wortwahl unterziehen.

Die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung kann außer in Fällen der Formalbeleidigung zwar dann erreicht sein, wenn die Äußerung in ihrem objektiven Sinn und den konkreten Begleitumständen nach nicht mehr als ein Beitrag zur Auseinandersetzung in der Sache zu verstehen ist, sondern eine Diffamierung oder persönliche Herabsetzung der betroffenen Personen bezweckt wird, mithin eine Form der Schmähkritik vorliegt (BVerfGE 93, 266, BVerfG, NJW 2009, 3016). Ein solcher Fall liegt jedoch nicht vor. Dies zeigt sich zum einen bereits in der deutlichen Distanzierung von einer persönlichen Herabsetzung auf Nachfrage des Beamten, ob der Angeklagte ihn beleidigen wolle bzw. ob er ihn als Nazi bezeichnen wolle. Der Angeklagte hat dabei gezeigt, dass er deutlich zwischen der sachlichen Kritik am Vorgehen des Beamten und der persönlichen Diffamierung abzugrenzen vermag. Dass die mittelbar durch die Kritik an der Sache bewirkte Kritik an der Person das sachliche Anliegen in den Hintergrund drängen ließe, ist nicht ersichtlich.“