Die Rechtsprechung des BGH zum Widerspruch bei Lebensversicherungen entwickelt sich weiter. Diese ist und bleibt überwiegend verbraucherfreundlich. Es lohnt sich daher für den Verbraucher durch die Instanzen zu gehen, falls dies notwendig sein sollte. In dem nunmehr entschiedenen Fall hatten sowohl Amtsgericht als auch Landgericht – anders als der BGH – die Klage abgewiesen.
Die Klägerin begehrt von dem beklagten Versicherer die Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier formgebundener Lebensversicherungen. Diese wurden aufgrund eines Antrages der Klägerin vom 26.12.2004 mit Versicherungsbeginn zum 30.12.2004 abgeschlossen. Die Klägerin kündigte im November 2010 beide Verträge. Die Beklagte zahlte daraufhin die Rückkaufswerte aus. Mit Schreiben vom 29 Juni 2015 erklärte die Klägerin bezüglich beider Verträge den „Widerruf ihrer Willenserklärungen“. Sie verlangte die Rückzahlung aller auf die Verträge geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits gezahlten Rückkaufswerte. Sie begründet dies damit, dass die Verträge nach dem so genannten Policenmodell des §§ 5a VVG a.F. abgeschlossen worden seien. Die Beklagte habe vor Vertragsschluss jedoch keine vollständige Verbraucherinformation nach § 10a Abs. 1 des Versicherungsaufsichtsgesetzes in der damaligen gültigen Fassung erteilt. Insbesondere fehle eine Angabe dazu, wie lange sie, die Klägerin, an ihr Angebot auf Abschluss des Versicherungsvertrages gebunden sei.

Sowohl Amtsgericht als auch Landgericht haben die Klage abgewiesen. Der Vertrag sei nicht nach den Policenmodell sondern nach dem Antragsmodell zustandegekommen. Die Angabe der Frist, während der die Klägerin an den Antrag gebunden sei, wäre nicht notwendig gewesen.

BGH hebt Entscheidung des Landgerichts auf
Der BGH ist dieser Rechtsauffassung jedoch nicht gefolgt. Der Vertrag sei nach dem Policenmodell zustandegekommen. Es hätten daher alle notwendigen Angaben erfolgen müssen, damit von einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung ausgegangen werden könne. Er dazu im Einzelnen wie folgt aus:

Wie der Senat bereits entschieden und im Einzelnen begründet hat, kommt es grundsätzlich auch dann zur Anwendung des Policenmodells, wenn nur einzelne Informationen bei Antragstellung dem Versicherungsnehmer nicht erteilt worden sind. Denn sonst hätte es der Versicherer in der Hand, bestimmte Informationen zunächst nicht zu übergeben, mit der Belehrung über das Rücktrittsrecht die Rücktrittsfrist auszulösen und nach deren Ablauf eine Bindung an den Vertrag zu schaffen (Senatsurteil vom 23. September 2015 – IV ZR 179/14, r+s 2015, 539 Rn. 11).

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bb) Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine nach Abschnitt I der Anlage Teil D zu § 10a Abs. 1 VAG a.F. vorgeschriebene Einzelinformation im konkreten Fall nicht einem berechtigten Informationsbedürfnis des Versicherungsnehmers diente.

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(1) Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die streitgegenständliche Verbraucherinformation unvollständig, weil sie keine Angaben über die Frist, während der der Antragsteller an den Antrag gebunden sein sollte, gemäß Abschnitt I Nr. 1 Buchstabe f der Anlage Teil D zu § 10a Abs. 1 VAG a.F. enthielt. Bei einem Vertragsschluss im Antragsmodell hatte der Versicherer, wie die Revision zu Recht geltend macht, den Antragsteller auch auf die gesetzliche Annahmefrist des § 147 Abs. 2 BGB hinzuweisen. An dieser Information hatte der Antragsteller ein berechtigtes Interesse.

Widerspruchsrecht besteht fort
Was dann folgt sind die üblichen Schlussfolgerungen des BGH, wenn über das Widerspruchsrecht nicht ordnungsgemäß belehrt wurde. Zum einen stellt der BGH fest, dass das Widerspruchsrecht auch Jahre nach bereits längst erfolgter Kündigung des Versicherungsvertrages und Auszahlung der Rückkaufswerte immer noch ausgeübt werden kann:

Das Widerspruchsrecht bestand nach Ablauf der Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung, die in dem „Widerruf“ der Vertragserklärungen zu sehen ist, fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. (vgl. dazu im Einzelnen: Senatsurteil vom 7. Mai 2014 – IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17 ff.).

Berechnung des Rückforderungsanspruchs des Versicherten
Ferner geht er auf die Berechnung ein, wie sich der Rückgewähranspruch für den Versicherungsnehmer berechnet:

Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich der Versicherungsnehmer bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45).

Er weist dann abschließend auf die von ihm für die Berechnung im Einzelnen bereits ergangenen Entscheidungen und verweist die Angelegenheit zurück an das Landgericht.

Keine Verwirkung oder Verstoß gegen Treu und Glauben
Bemerkenswert, aber konsequent ist im Übrigen, wozu der BGH keinerlei Ausführungen macht, nämlich zur Frage der Verwirkung des Widerspruchsrechts oder dem Einwand eines Verstoßes gegen Treu und Glauben. Wer die bisherige Rechtsprechung des BGH dazu kennt, weiß allerdings, dass bei einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerspruchsrecht die Frist zur Ausübung nicht zu laufen beginnt und Gesichtspunkte der Verwirkung oder eines Verstoßes gegen Treu und Glauben keine Rolle spielen. Anders jedoch einige Entscheidungen in der Instanzrechtsprechung, so zuletzt eine Entscheidung des OLG München. Allein die Tatsache, dass der Vertrag bereits gekündigt und der Rückkaufswert ausgezahlt war und seitdem 5 Jahre bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts vergangen sind, reicht eben nicht aus. Dazu müssten noch weitere Umstände hinzutreten.

Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass der BGH seiner Linie treu bleibt und die Argumentation der Versicherer angreifbar ist.

BGH, Urteil vom 18.07.2018 – IV ZR 68/17

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