Rechtsnorm: Niedersächsisches Schlichtungsgesetzes

Mit Beschluss vom 21.08.2012 (Az. 5 T 529/12) hat das LG Oldenburg entschieden, dass nach niedersächsischem Landesrecht bei Streitigkeiten wegen Ehrverletzungen via Facebook vor Klageerhebung zunächst ein Schlichtungsverfahren durchzuführen ist.

Zum Sachverhalt:

Via Facebook stritten sich zwei Nachbarn heftig. Dabei beleidigte ein Beteiligter den anderen erheblich, wogegen der Beleidigte gerichtlich vorgehen wollte. In diesem Zusammenhang beantragte er Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Unterlassungsklage. Das zuständige Amtsgericht lehnte den Antrag ab. Auch die eingelegte Beschwerde beim LG Oldenburg blieb nun erfolglos.

Nach Ansicht des Landgerichts sei die beabsichtigte Unterlassungsklage unzulässig, da nach § 1 Abs. 2 Nr. 4 des Niedersächsischen Schlichtungsgesetzes bei Streitigkeiten wegen einer Ehrverletzung, die nicht öffentlich via Presse oder Rundfunk begangen wurde, eine Klageerhebung erst nach vorherigem Scheitern eines Schlichtungsverfahrens zulässig. Bei den streitgegenständlichen Beleidigungen handele es sich um reine Ehrverletzungen. Die Plattform Facebook sei mit Presse und Rundfunk auch nicht vergleichbar. Somit müsse zunächst ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden.

Das Gericht führt aus:

„In Abs. 2 Nr. 4 dieses Gesetzes ist als Streitigkeit aufgeführt: „wegen Verletzung der persönlichen Ehre, die nicht in Presse oder Rundfunk begangen worden ist.“ Eine solche Streitigkeit liegt hier vor. Die Parteien wohnen unter derselben Anschrift. Gleichwohl nutzten sie das soziale Netzwerk „Facebook“, nachbarschaftliche Differenzen auszutragen. Der Meinungsaustausch eskalierte sodann, indem der Antragsgegner den Antragsteller mehrfach mit Verbalinjurien sexuellen Inhalts bedachte und in einem Beitrag äußerte: „…ich wünsche dir und deiner rasse den tot“. Derartige Äußerungen stellen eine reine Ehrverletzung dar. Die Ehre ist ein Unterfall des durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Persönlichkeitsrechts. Ginge die Verletzungshandlung über die Ehrverletzung hinaus und läge eine weitergehende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor, hinderte das NSchÄG nicht die sofortige Klage vor dem Zivilgericht. Die von dem Antragsgegner geäußerten Schimpfworte stellen eine Formalbeleidigung i. S. des § 185 StGB dar und sind zivilrechtlich als reine Ehrverletzung zu behandeln. Die Todesdrohung könnte sich hingegen gegen die auch durch das Gewaltschutzgesetz geschützten weiteren Rechtsgüter Leben, Körper und Gesundheit richten und damit über die Ehrverletzung hinausgehen. In einem solchen Fall ist zu prüfen, ob eine solche Äußerung als Bedrohung oder als Beleidigung gemeint und aufzufassen ist. Aus dem Kontext der gesamten Aussagen ist nicht zu entnehmen, dass der Antragsgegner den Antragsteller körperlich attackieren will. Unter diesem Blickwinkel ist der Tod einerseits als Wunsch formuliert und zum anderen beleidigend gemeint. Es sollte die Missachtung ausgedrückt werden: Die „Rasse“ des Antragstellers habe kein Recht auf Leben und nichts anderes als den Tod verdient. Handelt es sich somit bei den Äußerungen des Antragsgegners um Ehrverletzungen, fände das NSchÄG gleichwohl keine Anwendung, wenn diese „in Presse oder Rundfunk“ begangen worden wären. Äußerungen in „Facebook“ sind dem nicht gleichzustellen. Der zivilrechtliche Rundfunkbegriff wird in Niedersachsen von § 2 Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag – RStV) definiert. Mitteilungen in Facebook würden nach § 2 Abs. 3 RStV nicht als Rundfunk gelten. Danach sind Angebote kein Rundfunk, die weniger als 500 potenziellen Nutzern zum zeitgleichen Empfang angeboten werden (Nr. 1), ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen (Nr. 3) oder nicht journalistisch-redaktionell gestaltet sind (Nr. 4). Mindestens das Letzte wäre hier der Fall. Der vom Bundesverfassungsgericht verwendete Rundfunkbegriff geht weiter. So heißt es im Beschluss vom 27.03.1987 (BVerfGE 74, 297, Rn. 132): „Soll die Rundfunkfreiheit in einer sich wandelnden Zukunft ihre normierende Wirkung bewahren, dann kann es nicht angehen, nur an eine ältere Technik anzuknüpfen, den Schutz des Grundrechts auf diejenigen Sachverhalte zu beschränken, auf welche diese Technik bezogen ist, und auf diese Weise die Gewährleistung in Bereichen obsolet zu machen, in denen sie ihre Funktion auch angesichts der neuen technischen Möglichkeiten durchaus erfüllen könnte.“ Unter diesem Blickwinkel kann das Internet unter den Rundfunkbegriff subsumiert werden. Das gilt jedoch nicht für die Auslegung des Rundfunkbegriffs im NSchÄG. Dort geht es um die gerichtliche Zuständigkeit. Für den ähnlichen Fall der richterlichen Zuständigkeit des Einzelrichters in Zivilsachen hatte der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren unter der Ziff. a) in § 348 Abs. 1 ZPO – Streitigkeiten in Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen – die herausgehobene öffentliche Bedeutung dieser Rechtsstreitigkeiten im Auge (BT-Drucks. 14/4722 S. 88). Facebook-öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten genießen nicht diese öffentliche Bedeutung. Die Kammer verwendet daher für die hier zu entscheidende Zuständigkeitsfrage die Abgrenzung des § 2 Abs. 3 RStV. Hier handelt es sich um eine persönliche Auseinandersetzung, die zudem nur Facebookmitgliedern zugänglich ist. Facebookseiten sind auch nicht als Presse zu verstehen. Unter „Presse“ werden in erster Linie periodisch erscheinende Werke verstanden, es können aber auch Bücher, Flugblätter oder Plakate darunter fallen (Schiwy/Schütz/Dörr, Medienrecht, 5. Aufl., Stichwort „Pressefreiheit“, S. 424). Nach dem Schutzzweck können Äußerungen der hier in Rede stehenden Form dem nicht gleichgestellt werden.“

Kommentar:

Um das Verfahren zu beschleunigen steht Betroffenen außerhalb eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung offen. Die Verpflichtung, vor Klageerhebung ein Schlichtungsverfahren durchzuführen, betrifft nur Klagen, nicht aber Anträge auf den Erlass einer einstweiligen Verfügung.

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