Referent war der Vorsitzende des 4. Zivilsenats vom OLG Hamm, Hermann Knippenkötter, zu den Themen „Rechtsmissbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG“ sowie „Aktuelle Rechtsprechung des 4. Zivilsenats des OLG Hamm“.

Zunächst führte Herr Knippenkötter in allgemeine Überlegungen zum Rechtsmissbrauch, zu seiner Geschichte und zur Funktion der Abmahnung ein. Dann stellte er die Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs dar. Ausgangspunkt ist die Formel „Anzahl der Abmahnungen + X“. Er stellte klar, dass allein aus der Anzahl der Abmahnungen der Rechtsmissbrauch nicht hergeleitet werden könne. Andererseits könne aber auch schon eine einzige Abmahnung rechtsmissbräuchlich sein. Die Frage ist nun, was unter „X“ im Sinne dieser Formel fallen kann. Das Gesetz selbst nennt dazu das vordergründige Gebühreninteresse. Weitere Fälle sind die Behinderungs- und Schädigungsabsicht, die fremdbestimmte Rechtsverfolgung im Interesse eines Dritten, selektives Vorgehen. Die Frage des Rechtsmissbrauchs könne auch noch in der II. Instanz zum ersten Mal geprüft und bejaht werden, da die Präklusionsvorschrift des § 531 Abs. 2 ZPO nicht eingreife.

Als häufiges Beispiel für „X“ sei das Unverhältnis zwischen den Kosten der Abmahnung und den Gewinn des Abmahnenden zu sehen. In der Praxis zitierte Herr Knippenkötter aus einer Entscheidung mit einem Mandanten, der seinen Anwalt quasi angefleht hat, ihm eine Verschnaufpause bei den Abmahnungen zu geben. Er, der Mandant, müsse die Abmahnungen erst einmal „sacken lassen“. Der Anwalt hat dann jedoch trotzdem weiter abgemahnt. Offensichtlich verfügte er nicht über eine Prozessvollmacht. Rechtsmissbrauch wurde dann natürlich bejaht.

Ein Beispiel dafür, dass auch eine einzige Abmahnung bereits rechtsmissbräuchlich sein könne, sei bei einer über das Ziel hinausschießend formulierten Unterlassungserklärung gegeben. In dem zu entscheidenden Fall wurde die Vertragsstrafe auch bei „schuldlosem Handeln“ gefordert, ferner wurde die Zahlung innerhalb einer zu kurzen Frist beansprucht, wofür kein Anlass bestand, sonst wurde Klage angedroht. Und es kam noch eine Gerichtsstandsvereinbarung am Sitz des abmahnenden Gläubigers hinzu.

Ein weiteres Bespiel für Rechtsmissbrauch wurde in einem selektiven Vorgehen eines Verbandes ausschließlich gegen Nichtmitglieder gesehen. Dies verstieß gegen den Zweck des Verbandes, nämlich fremdnütziges Verhalten. Hier wurde ganz bewusst nur im Sinne der eigenen Mitglieder agiert. OLG Hamm I-4 U 21/10, Revision BGH I ZR 148/10.

Weiteres Bespiel: Das abmahnende Unternehmen hatte einen Jahresumsatz in Höhe von 50.000,00 €. Es wurden 30 Abmahnungen in einem Jahr versandt. Dabei wurde in der Abmahnung ein Streitwert von 50.000,00 € angenommen, der nach kurzer Verhandlung mit dem Rechtsanwalt des Abgemahnten sofort auf 5.000,00 € reduziert wurde. Im Rahmen einer Klage ist der Streitwert ebenfalls ganz erheblich abgesenkt worden. Auch wurden teilweise Klagen gar nicht eingereicht. Die Mandantin hat dann auch noch geäußert, „ich habe nie an den Rechtsanwalt etwas gezahlt“. Das war natürlich ausreichend für die Annahme des Rechtsmissbrauchs.

In der Rechtsprechung umstritten ist ja auch noch die Frage, ob eine Gegenabmahnung im Sinne einer Retourkutsche automatisch rechtsmissbräuchlich ist oder ob diese durchaus geltend gemacht werden kann. Grundsätzlich ist eine Gegenabmahnung nach Ansicht des 4. Zivilsenats des OLG Hamm in Ordnung. Wenn allerdings in der Antwort auf eine Abmahnung ein Vertragsangebot zu sehen ist, wonach beide Parteien auf ihre Abmahnungen, Unterlassungsansprüche und Kostenerstattungsansprüche verzichten sollen, so ist dies nicht mehr zulässig. Es muss dann schon konsequent gegenabgemahnt werden. Falls es danach zu einem Vergleich kommt, wäre das hingegen nicht zu beanstanden.

Dann erläuterte der Referent den Fall der von einem Rechtsanwalt koordinierten Gegenabmahnung. Ausgangspunkt waren 25 Abmahnungen einen Tag nach Einführung der neuen Widerrufsbelehrung im Fernabsatzrecht. Der Rechtsanwalt warb auf seiner Internetseite quasi mit den Worten, „kommt zu mir“. Danach kam es gerade zu einem „Feuerwerk von Gegenabmahnungen“. Das wurde dann auch als rechtsmissbräuchlich angesehen, OLG Hamm, Aktenzeichen I- 4 U 10/11.

Ferner wies der Referent darauf hin, dass im Falle einer aufgrund einer rechtsmissbräuchlichen Abmahnung abgegebenen Unterlassungserklärung ausnahmsweise die Vertragsstrafe nicht erst gekündigt werden muss, um der eigentlichen Verwirkung der Vertragsstrafe durch deren Geltendmachung durch den abmahnenden Gläubiger zu entgehen. Wenn sich der Schuldner hierauf jedoch nicht beruft, erfolge keine Prüfung von Amts wegen. Allerdings reiche es aus, wenn dem Gericht unstreitiger Sachvortrag vorliegt (wie im Falle de § 138 BGB), da dieser dann als Einwendung vom Gericht berücksichtigt wird. Auch eine Titeldurchsetzung, die auf einer rechtsmissbräuchlichen Abmahnung beruht, könne nicht erfolgen (§§ 826, 242 BGB).

Herr Knippenkötter kam dann auf Einzelfragen des materiellen Wettbewerbsrechts zu sprechen. Es wurde der sogenannte Podologen-Fall besprochen, vgl. OLG Hamm I-4 U 160/10. Dort hatte eine Fußpflegerin so geworben, dass der Eindruck entstehen konnte, dass sei eine staatlich geprüfte Podologin sei. Auch wenn dieser Begriff „Podologe“ noch nicht bekannt sei, so sei Sinn des Podologensetzes aus dem Jahre 2003, den Begriff in der Bevölkerung zu etablieren. Deshalb wurde ein Wettbewerbsverstoß letztlich bejaht.

Der nächste Fall beschäftigte sich mit einem „Werksverkauf nur für 4 Tage“, OLG Hamm I- 4 U 222/10. Dies stellte einen Verstoß gegen § 4 Nr. 4 UWG dar, da Beginn und Ende des Werksverkauf nicht angegeben waren. Die lose Verbindung mit der entsprechenden Zeitung, in der das Werbeblatt eingelegt war, reichte nicht aus.

Ferner erläuterte der Referent das Urteil OLH Hamm I-4 U 142/10, in dem es um die Frage geht, ob ein Verstoß gegen eBay-Grundsätze einen Wettbewerbsverstoß darstellt. Dies hat das OLG Hamm verneint. Es liege weder ein Verstoß gegen § 4 Nr. 11, § 3 noch gegen § 4 Nr. 10 UWG vor.

Dann ging es bei der Entscheidung OLG Hamm I-4 U 118/10 um die Frage, wie weit der Kernbereich eines Unterlassungsanspruchs aus einem Unterlassungsvertrag geht. In dem Fall hatte der Abgemahnte die zu weit gefasste Abmahnung auf ein bestimmtes Produkt aus einem großen Produktangebot konkretisiert. Danach kam es bei einem anderen Produkt zu einem ähnlichen Verstoß. Hier hat das OLG Hamm angenommen, dass der Kernbereich des Unterlassungsanspruchs sich auf das eine konkretisierte Produkt reduziert hat.

Weiter wurde noch die Entscheidung OLG Hamm I-4 U 104/10 – durchgestrichene Preise – erörtert.

Der zweite materiellrechtliche Bereich betraf das Markenrecht.

Als erstes erläuterte Herr Knippenkötter die Entscheidung OLG Hamm I-4 U 144/10 – Karstadt/Sparstadt -. Dort hatte das Erstgericht eine einstweilige Verfügung erlassen, die sich auf das Markenrecht von Karstadt bezog. Normalerweise ist es so, dass das OLG Hamm einstweilige Verfügungen in Markenrechtsangelegenheiten nur in engen Ausnahmefällen zulässt, da in der Regel die Dringlichkeit, also der Anordnungsgrund, nicht gegeben sei. Auf  § 12 UWG könne nicht zurückgegriffen werden, auch nicht analog. Hier war die Dringlichkeit jedoch vom Erstgericht nach Auffassung des OLG Hamms zu Recht bejaht worden, weil Karstadt sich damals zu dem Zeitpunkt der entsprechenden Bewerbung gerade im Aufbau befand und quasi eine Existenzbedrohung vorgelegen habe. Problematisch sei in dem Fall die Passivlegitimation gewesen, konnte aber bejaht werden. Die Verwechslungsgefahr sei dann wegen Branchennähe und hoher Zeichenähnlichkeit auch zu bejahen gewesen.

Als letztes erläuterte der Referent auch zur Belustigung der Teilnehmer den Fall OLG Hamm I-4 U 216/10 – Warendorfer Pferdeäppel/Warendorfer Pferdeleckerli -. Dies war ein typischer Fall, in welchem sich zahlreiche Wortspiele und Anspielungen gerade aufdrängten. Als nüchternes Ergebnis kann festgehalten werden: Verwechslungsgefahr zwischen Pralinen, die die beiden genannten Bezeichnungen enthalten, ist nicht gegeben.

Nach diesem Parforceritt und 1 ½  Stunden intensiven Vortrags nahmen die Mitglieder noch an dem gemeinsamen Abendessen teil.