Rechtsnorm: RL 2005/29/EG (unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmark)t

Mit Urteil vom 18.10.2012 (Az. C-428/11) hat der EuGH entschieden, dass es Unternehmern verboten ist, einem Verbrauchern den fälschlichen Eindruck zu vermitteln, er habe bereits einen Preis gewonnen, obwohl er zur Annahme des „Gewinns“ Kosten zu tragen hat. Dieses Verbot gilt auch dann, wenn diese Kosten im Verhältnis zum Wert des „Gewinns“ sehr niedrig seien.

Zum Sachverhalt:

Fünf Unternehmen, die sich auf den Versand von Werbung spezialisiert haben, wurde durch die britische Wettbewerbsbehörde Office of Fair Trade (OFT) aufgegeben, ihre bisherigen Geschäftspraktiken einzustellen, wonach Verbrauchern individuelle Briefe, Rubbelkarten und andere Werbebeilagen zusammen mit Zeitungen und Zeitschriften übersandt wurden. Mit diesen Beilagen sollten Verbraucher über Gewinne informiert werden. Die Gewinne sollen teilweise nur von symbolischem Wert sein, teilweise aber auch beträchtlich. Dem angeschriebenen Verbraucher wurden mehrere Möglichkeiten geboten, um zu erfahren, wie genau der Gewinn aussieht und wie er ihn erhalten kann. Hierzu konnte er eine kostenpflichtige Hotline anrufen, eine kostenpflichtige SMS schreiben oder den Brief-Postweg wählen, wobei der Postweg deutlich weniger herausgestellt war. Zwar wurden dem Verbraucher bei Nutzung die Telefonkosten pro Minute und die maximale Dauer des Anrufs mitgeteilt, allerdings verschwieg man, dass das Werbeunternehmen an den Umsätzen aus den Anrufen beteiligt wurden. Die OFT führt als Beispiel Werbesendungen für gewonnene Mittelmeerkreuzfahrten an: Der angeschriebene Verbraucher musste zusätzlich zu den Kosten für die Anrufe/SMS u.a. eine Versicherung abschließen sowie Zuschläge für eine Ein- bzw. Zweibettkabine zahlen. Auch die Verpflegung und Hafengebühren waren nicht im versprochenen Gewinn inkludiert. Im Ergebnis hätten zwei Paare für die Teilnahme an ihrer „gewonnenen“ Kreuzfahrt pro Person 399 britische Pfund (etwa 550 Euro) bezahlen müssen.

Ziel der Gewerbetreibenden ist es, aktuelle Datensätze der angeschriebenen Verbraucher zu erhalten, um diesen andere Produkte anbieten zu können oder die Datensätze an Dritte zu veräußern.

Der angerufene EuGH entschied nun in einem Vorabentscheidungsverfahren, dass derartige Praktiken, mit denen einem Verbraucher der Eindruck vermittelt wird, er habe bereits einen Preis gewonnen, obwohl er einen Betrag zahlen und Kosten übernehmen muss, um Informationen über die Natur des Preises zu erhalten bzw. um Handlungen für seine Inanspruchnahme vorzunehmen, europarechtswidrig sind. Es ist Aufgabe der nationalen Gerichte, die den Verbrauchern übermittelten Gewinnversprechungen zu beurteilen.

Der EuGH führt zur Begründung aus:

„Was insbesondere den zweiten Gedankenstrich der Nr. 31 des Anhangs I der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken angeht, ist festzustellen, dass es nach dem Wortlaut dieser Bestimmung eine unlautere Geschäftspraktik darstellt, vom Verbraucher die Zahlung eines Betrags oder die Übernahme von Kosten zu verlangen, wenn er eine Handlung in Bezug auf die Inanspruchnahme des Gegenstands vornimmt, der ihm als Preis oder sonstiger Vorteil präsentiert wurde. Diese Bestimmung sieht keinerlei Ausnahme vor, so dass die Formulierung „Übernahme von Kosten“ es offensichtlich nicht zulässt, dem Verbraucher auch noch so geringe Kosten aufzuerlegen, gleich, ob es sich um Kosten handelt, die im Verhältnis zum Wert des Preises geringfügig sind, oder um Kosten, die dem Gewerbetreibenden keinerlei Vorteil bringen, wie die Kosten einer Briefmarke. (…) Zudem kann der Vorschlag mehrerer Möglichkeiten angesichts der absoluten Geltung des Verbots, Kosten aufzuerlegen, die Unlauterkeit einer Praktik nicht beseitigen, wenn einige dieser Möglichkeiten den Verbraucher zur Übernahme von Kosten verpflichten, auch wenn diese im Verhältnis zum Wert des Preises geringfügig sind. Die grammatikalische Auslegung der Nr. 31 des Anhangs I der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken wird durch den Kontext dieser Bestimmung gestützt. (…) Zudem steht diese Nr. 31 im Anhang I der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken unter der Überschrift „Aggressive Geschäftspraktiken„, so dass ein irreführender Charakter der Geschäftspraktik irrelevant ist. Eine aggressive Praktik ist nämlich, wie aus Art. 8 der genannten Richtlinie hervorgeht, eine Praktik, die aufgrund ihrer Merkmale einen Verbraucher tatsächlich oder voraussichtlich dazu veranlasst, eine geschäftliche Entscheidung zu treffen, die er andernfalls nicht getroffen hätte. Wie insbesondere die Regierung des Vereinigten Königreichs und die italienische Regierung vorgetragen haben, wird mit der Praktik, um die es in Nr. 31 zweiter Gedankenstrich des Anhangs I der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken geht, die durch die Mitteilung des Gewinns eines Preises ausgelöste psychologische Wirkung ausgenützt, um den Verbraucher zu einer Entscheidung zu veranlassen, die nicht immer rational ist, z. B. eine Mehrwertnummer anzurufen, um die Art des Preises zu erfahren, eine aufwendige Fahrt zu unternehmen, um ein billiges Geschirr abzuholen, oder Versandkosten für ein Buch zu zahlen, das er bereits besitzt. Dabei ist es unerheblich, dass der Preis gegenüber den Kosten, die für seine Abholung anfallen, sehr wertvoll sein kann. Die Gewerbetreibenden haben vor dem Gerichtshof wiederholt den Fall erwähnt, dass der Preis aus einem Luxusauto besteht, das der Verbraucher jedoch nach Übernahme der Zulassungs- und Versicherungskosten im Herstellungsland abholen muss. Dieses Beispiel ist jedoch kaum repräsentativ für die Preise wie sie den Verbrauchern im Allgemeinen angeboten werden. Jedenfalls ist, wie das Vereinigte Königreich hervorgehoben hat, das Zielpublikum der in Rede stehenden Praktiken selbst bei Aufnahme von Darlehen nicht ohne Weiteres zahlungskräftig genug, um solche Kosten tragen zu können. Schließlich würde den Gewerbetreibenden die Veranstaltung solcher Werbeaktionen durch ein Verbot, dem Verbraucher auch nur die geringsten Kosten aufzuerlegen, nicht unmöglich gemacht. Der Gewerbetreibende könnte nämlich für die Teilnahme an der Ausschreibung oder der Werbeaktion eine geografische Einschränkung vorsehen, um die von ihm zu tragenden Kosten für die Fahrt des Verbrauchers und die notwendigen Formalitäten für die Abholung des Preises durch den Verbraucher gering zu halten. Der Gewerbetreibende könnte bei der Festsetzung des Werts der zu verteilenden Preise auch die von ihm zu tragenden Kommunikations- und Versandkosten berücksichtigen. (…) Wie die Regierung des Vereinigten Königreichs zu Recht geltend macht, kann für die Auslegung der Nr. 31 des Anhangs I der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken die Nr. 20 desselben Anhangs hilfreich sein. Nach dieser Bestimmung stellt es eine irreführende Geschäftspraktik dar, wenn ein Produkt als „gratis“, „umsonst“, „kostenfrei“ oder Ähnliches beschrieben wird, obwohl der Verbraucher weitere Kosten als die Kosten zu tragen hat, die im Rahmen des Eingehens auf die Geschäftspraktik und für die Abholung oder Lieferung der Ware unvermeidbar sind. Die genannte Nr. 31 enthält keine entsprechende Formulierung, was die Auslegung stützt, dass das Verbot, dem Verbraucher auch nur die geringsten Kosten aufzuerlegen, absolut gilt, gleich, ob es um die Kosten einer Briefmarke oder eines gewöhnlichen Telefonats geht. (…)

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten:

– Nr. 31 zweiter Gedankenstrich des Anhangs I der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ist dahin auszulegen, dass er aggressive Praktiken verbietet, mit denen Gewerbetreibende den fälschlichen Eindruck erwecken, der Verbraucher habe bereits einen Preis gewonnen, obwohl die Möglichkeit des Verbrauchers, Handlungen in Bezug auf die Inanspruchnahme des Preises vorzunehmen, wie etwa die Erkundigung nach der Natur dieses Preises oder dessen Entgegennahme, von der Zahlung eines Betrags oder der Übernahme von Kosten durch den Verbraucher abhängig gemacht wird;

– es ist unerheblich, wenn die dem Verbraucher auferlegten Kosten, wie z. B. die Kosten einer Briefmarke, im Vergleich zum Wert des Preises geringfügig sind oder dem Gewerbetreibenden keinen Vorteil bringen;

– unerheblich ist auch, wenn der Gewerbetreibende dem Verbraucher für die Inanspruchnahme eines Preises etwa verschiedene Vorgehensweisen anbietet, von denen zumindest eine gratis ist, sofern eine oder mehrere der angebotenen Vorgehensweisen voraussetzen, dass der Verbraucher Kosten übernimmt, um sich über den Preis oder die Modalitäten seiner Entgegennahme zu informieren;        

es ist Sache der nationalen Gerichte, die den Verbrauchern übermittelten Informationen im Licht der Erwägungsgründe 18 und 19 sowie des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, d. h. unter Berücksichtigung der Klarheit und der Verständlichkeit dieser Informationen für das Zielpublikum der betreffenden Praktik, zu beurteilen.“