Rechtsnormen: §§ 91a, 93 ZPO

Mit Beschluss vom 20.05.2011 (Az. 6 W 30/11) hat das OLG Köln entschieden, dass Filesharing-Abmahnungen keine Hinweise enthalten dürfen, die den Verbraucher von der Abgabe einer Unterlassungserklärung abhalten können. Anderenfalls können die Abmahner keine Erstattung ihrer Gerichts- und Abmahnkosten verlangen.

Folgend die amtlichen Leitsätze der Entscheidung:

1. Nimmt der Inhaber von Urheberrechten einen Rechtsverletzer zunächst als Täter in Anspruch und ergibt sich erst in Laufe des Verfahrens, dass dieser als Störer haftet und daher der Antrag entsprechend einzuschränken ist, führt dies jedenfalls dann nicht zu einer Belastung des Rechteinhabers mit Verfahrenskosten, wenn der Rechtsverletzer auf eine Abmahnung, in der ihm die Täterschaft vorgeworfen wird, nicht geantwortet hat.

2. Fügt der Rechteinhaber der Abmahnung eines nicht geschäftlich tätigen und rechtlich nicht beratenen Rechtsverletzers eine vorbereitete erheblich zu weit gefasste Unterlassungserklärung bei und warnt zugleich davor, diese Erklärung einzuschränken, so gibt der Abgemahnte nicht dadurch Veranlassung zur Klage im Sinne des § 93 ZPO, dass er keine Unterlassungserklärung abgibt.

Zum Sachverhalt:

Die Inhaberin der Tonrechte an Dan Browns „Das verlorene Symbol“ (Buchverlag) stellte wegen eines mutmaßlichen Verstoßes gegen ihre Urheberrechte wegen des Bereitstellens zum Herunterladen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Wie die Antragstellerin vortrug, wurde am 16.02.2010 von einer dem Internetanschluss des Antragsgegners zugeordneten IP-Adresse das vorgenannte Hörbuch im Internet zum Download angeboten. Infolgedessen mahnte die Antragstellerin den Antragsgegner mit anwaltlichem Schreiben ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung sowie zum Ersatz von Rechtsverfolgungskosten und des ihr entstandenen Schadens auf. Dem Abmahnschreiben lag eine vorbereitete „Unterlassungserklärung“ bei, wonach sich der Antragsgegner verpflichten sollte, es dauerhaft zu unterlassen, „geschützte Werke des Unterlassungsgläubigers oder Teile daraus öffentlich zugänglich zu machen bzw. öffentlich zugänglich machen zu lassen, insbesondere über sogenannten Tauschbörsen im Internet zum elektronischen Abruf bereitzuhalten“. Im Übrigen ist dem Schreiben ein Hinweis darauf zu entnehmen, dass die Erklärung keiner gesonderten Annahmeerklärung bedürfe, sofern keine inhaltlichen Veränderungen vorgenommen würden und dass „in Internetforen fälschlicherweise empfohlene Einschränkungen“ die Unterlassungserklärung insgesamt unwirksam machen könnte. Der Antragsgegner reagierte auf das Abmahnschreiben nicht. Wenige Wochen später stellte die Antragstellerin beim zuständigen Landgericht Köln Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, dem das Landgericht umgehend stattgab. Demnach wurde dem Antragsgegner untersagt, das Hörbuch „Das verlorene Symbol“ von Dan Brown zum Abruf über das Internet bereitzustellen und/oder bereitstellen zu lassen und damit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und/oder zugänglich zu machen. Dem Antragsgegner wurde am 25.03.2010 die Verfügung und daran anknüpfend am 11.05.2010 der Kostenfestsetzungsbeschluss zugestellt. Mit Schreiben vom 12.05.2010 gab der Antraggegner eine auf den Verfahrensgegenstand („Das verlorene Symbol“) beschränkte Unterlassungserklärung ab. Beidseitig wurde das Verfahren als erledigt erklärt. Zunächst trug der Antragsgegner jedoch vor, zum Tatzeitpunkt verreist gewesen zu sein. Somit könne lediglich noch ein unbekannter Dritter sein W-LAN trotz Sicherung unberechtigt benutzt haben.

Nachdem zunächst das LG Köln dem Antragsgegner die Prozesskosten auferlegt hatte, legte diese das Rechtsmittel der Beschwerde beim OLG Köln ein.

Das OLG Köln entschied nun zugunsten des Antragsgegners:

Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt nach dem auch im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO zu berücksichtigenden Rechtsgedanken des § 93 ZPO dazu, dass die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen sind.

Zu den Gründen führt das Gericht aus:

1. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt, ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Antragstellerin gegen den Antragsgegner ein Unterlassungsanspruch zustand. Es kann insofern dahinstehen, ob dieser Anspruch, wie dies dem gestellten Antrag zugrunde liegt, auf eine Haftung des Antragsgegners als Täter gegründet ist oder, wie dies der Antragsgegner (hilfsweise) geltend macht, sich aus einer Haftung als Störer ergibt. Dabei haftet der Antragsgegner nach seinem eigenen Vortrag als Störer. Denn er hat die angesichts der von ihm behaupteten mehrtägigen Abwesenheit nächstliegende Sicherungsmaßnahme seines W-LANs unterlassen, indem er dieses nicht abgeschaltet hat.

(…) Zu einer Beteiligung der Antragstellerin an den Kosten des Verfahrens führt es (…) nicht, dass sie einen Antrag gestellt hat, der die konkrete Verletzungsform (das Bereitstellen des Internetanschlusses) nicht erfasst, sondern auf das Angebot des Hörbuchs im Internet abstellt. Die Antragstellerin hätte daher den Antrag entsprechend einschränken müssen (vgl. BGH GRUR 2010, 633, 636, Tz. 35 ff. – Sommer unseres Lebens). (…) Es obliegt dem Gläubiger eines (…) Unterlassungsanspruchs zur Vermeidung des Prozessrisikos aus § 93 ZPO, den Störer vor Erhebung einer Unterlassungsklage abzumahnen. Hierdurch soll der Störer Gelegenheit erhalten, im eigenen Interesse einen aussichtslosen Unterlassungsrechtsstreit und die damit für ihn verbundenen Kosten zu vermeiden. Diese grundsätzliche Abmahnlast und die in einer Abmahnung zum Ausdruck kommende Rücksichtnahme auf die Interessen des Störers machen es nach Treu und Glauben erforderlich, den Störer im Gegenzuge als verpflichtet anzusehen, auf eine Abmahnung fristgemäß durch Abgabe einer ausreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung oder deren Ablehnung zu antworten. Diese Pflicht erwächst aus der durch die Rechtsverletzung entstandenen Sonderbeziehung. Verletzt der Störer schuldhaft seine Pflicht, auf die Abmahnung fristgemäß zu antworten, steht dem Gläubiger ein Schadensersatzanspruch zu, der insbesondere die durch das in Rede stehende Verhalten des abgemahnten Störers verursachten Rechtsverfolgungskosten umfasst (BGH GRUR 1990, 381, 382 – Antwortpflicht des Abgemahnten). Diese Grundsätze gelten auch im Urheberrecht. Danach steht der Antragstellerin in Höhe der Kosten, die auf dem (unterstellt) zu weitgehenden Antrag beruhen, ein Schadensersatzanspruch gegen den Antragsgegner zu. Denn die Antragstellerin hätte von vornherein einen auf die konkrete Verletzungsform beschränkten Antrag stellen können, wenn der Antragsgegner pflichtgemäß auf ihre berechtigte Abmahnung, die auch eine Haftung als Störer zum Gegenstand hatte, reagiert hätte. Insofern erscheint es als billig, auch die Kosten, die Gegenstand dieses materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch sind, dessen Bestehen ohne weitere Sachaufklärung festgestellt werden kann, im Rahmen des § 91a ZPO dem Antragsgegner aufzuerlegen (vgl. BGH NJW 2002, 680).

2. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin jedoch keinen Anlass zur Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens gegeben.

a) Grundsätzlich gibt der Schuldner Anlass zu seiner gerichtlichen Inanspruchnahme, wenn er auf eine Abmahnung hin nicht eine (strafbewehrte) Unterlassungserklärung abgibt. Zudem ist es im gewerblichen Rechtsschutz anerkannt, dass den Gläubiger nicht eine Obliegenheit trifft, der Abmahnung den Entwurf einer Unterlassungserklärung beizufügen. Daher ist es grundsätzlich auch unschädlich, wenn der Gläubiger mit der einer Abmahnung beigefügten vorgeschlagenen Unterwerfungserklärung mehr verlangt, als ihm zusteht; es ist dann Sache des Schuldners, die Wiederholungsgefahr durch Abgabe einer Unterwerfungserklärung in dem dazu erforderlichen Umfang auszuräumen (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rdn. 1.17). Diese Grundsätze können auf die Abmahnung, die gegenüber einem nicht geschäftlich handelnden Rechtsverletzer ausgesprochen wird, nicht uneingeschränkt angewandt werden. Auch eine im gewerblichen Bereich ausgesprochene Abmahnung darf sich nicht darauf beschränken, eine Rechtsverletzung aufzuzeigen. Die Abmahnung soll dem Schuldner einen Weg weisen, den Gläubiger ohne Inanspruchnahme der Gerichte klaglos zu stellen (vgl. BGH GRUR 2009, 502 Tz. 11 – pcb; GRUR 2010, 354 Tz. 8 – Kräutertee). Zu diesem Zweck ist es im geschäftlichen Verkehr ausreichend, aber auch erforderlich, dass die Abmahnung die Aufforderung zur Abgabe einer Unterwerfungserklärung enthält (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 12 Rdn. 1.16; Teplitzky, Kap. 41 Rdn. 14). Was einem Verbraucher gegenüber erforderlich ist, um ihm den Weg zur Vermeidung einer gerichtlichen Inanspruchnahme zu weisen, kann nicht nach denselben Grundsätzen beurteilt werden. Insoweit ist jedenfalls von einem gewerblich tätigen und rechtlich beratenen Gläubiger zu verlangen, dass er dem Schuldner keine Hinweise erteilt, die den Schuldner von der Anerkennung des Anspruchs abhalten können. Geschieht dies gleichwohl, kann der Gläubiger – nach objektiven Maßstäben – aus einer unterbliebenen Reaktion des Schuldners auf die Abmahnung nicht schließen, dass eine gerichtliche Inanspruchnahme erforderlich ist. Der Senat verkennt nicht, dass diese Einschätzung bisher – wie die Antragstellerin dargelegt hat – in der Literatur nicht vertreten worden ist. Es lässt sich den angeführten Literaturnachweisen jedoch nicht entnehmen, dass diese sich mit den hier gegebenen Besonderheiten auseinandergesetzt haben. Dass Privatpersonen wegen Urheberrechtsverletzungen in Anspruch genommen werden, kommt nämlich erst in jüngerer Zeit in einem früher kaum vorstellbaren Umfang vor.

Die Auffassung der Antragstellerin, Verbraucherinteressen seien bereits dadurch abschließend berücksichtigt, dass die Verfolgbarkeit auf Rechtsverletzungen von „gewerblichem Ausmaß“ nach einer gerichtlichen Prüfung desselben beschränkt sei (§ 101 Abs. 2 Satz 3, Abs. 9 UrhG), und der Antragsgegner könne sich daher nicht darauf berufen, bei der Rechtsverletzung privat gehandelt zu haben, überzeugt nicht. Der Annahme, dass der Antragsgegner nicht geschäftlich tätig ist, steht nicht entgegen, dass ihm eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorgeworfen wird. Denn das Tatbestandsmerkmal „gewerbliches Ausmaß“ bezieht sich auf die Schwere der Rechtsverletzung und damit auf den Umfang der Beeinträchtigung der Interessen des Rechteinhabers (vgl. Beschluss des Senats vom 21.10.2008 – 6 Wx 2/08). Eine solche Rechtsverletzung kann (und wird in der überwiegenden Zahl der Fälle von Angeboten in sog. Tauschbörsen) durch eine privat handelnde Person erfolgen, die wie (aber nicht als) ein gewerblicher Anbieter auftritt, indem sie der Öffentlichkeit ein fremdes Werk anbietet (vgl. Beschluss des Senats vom 9.2.2009 – 6 W 182/08). Die oben dargestellten Gründe für die Anwendung des § 93 ZPO beruhen auch nicht auf Erwägungen zum Verbraucherschutz, sondern ergeben sich daraus, dass das Verhalten einer geschäftlich unerfahrenen und rechtlich nicht beratenen Person anders auszulegen ist als die Reaktion einer Person, die gewerblich tätig ist.

b) Nach diesen Maßstäben hat der Antragsgegner keine Veranlassung zu seiner gerichtlichen Inanspruchnahme gegeben. Die Antragstellerin hat in der von ihr vorformulierten Unterlassungsklärung eine Verpflichtung vorgesehen, die sämtliche Werke einschließt, an denen die Antragstellerin Rechte innehat. Dies geht weit über den ihr zustehenden Unterlassungsanspruch hinaus, der nur hinsichtlich des Werks besteht, bezüglich dessen der Antragsgegner Rechte verletzt hat. Obwohl also eine Beschränkung der geforderten Unterlassungserklärung nicht fernliegend gewesen wäre, hat die Antragstellerin mehrfach darauf hingewiesen, dass Einschränkungen der vorgeschlagenen Erklärung zur „Unwirksamkeit der Unterlassungserklärung“ führen könnten. Neben dem Hinweis auf der vorbereiteten Unterlassungserklärung selbst ist der Antragsgegnerin in der Abmahnung ausdrücklich zur Verwendung dieser Erklärung aufgefordert worden und auf Kostennachteile hingewiesen worden, wenn er die Unterlassungserklärung abändern sollte. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Antragstellerin dem Antragsgegner den Weg gewiesen hat, der zur Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung geboten war. Dass von einigen Rechtsanwälten sowie im Internet die Abgabe derart weit gefasster Unterlassungserklärungen empfohlen wird, führt nicht zu einer anderen Beurteilung: Denn eine solche Empfehlung kann jedenfalls nur im Einzelfall erteilt werden und erfordert die Kenntnis der Umstände der Rechtsverletzung, damit beurteilt werden kann, ob ein „umfassendes Erledigungsinteresse“ (wie die Antragstellerin meint) besteht.

Diese Bewertung steht auch nicht im Widerspruch zur oben dargestellten Antwortpflicht des Abgemahnten. Denn diese bezieht sich auf die Mitteilung rein tatsächlicher Umstände, die auch einer Privatperson möglich und zumutbar ist.

3. a) Der Antragsgegner hat den geltend gemachten Anspruch zwar nicht förmlich anerkannt, aber eine entsprechende Unterlassungserklärung abgegeben, die einem Anerkenntnis entspricht und sogar darüber hinaus geht, weil sie den geltend Anspruch zugleich befriedigt. Dass der Antragsgegner sodann Widerspruch eingelegt hat, ist unerheblich (vgl. OLG Hamburg NJW-RR 2002, 215 f.), denn die einstweilige Verfügung wäre, nachdem der Unterlassungsanspruch beseitigt worden war, aufzuheben gewesen.

Der Antragsgegner hat die Unterlassungserklärung „sofort“ im Sinne des § 93 ZPO abgegeben. Zwar waren seit der Zustellung der einstweiligen Verfügung mehr als sechs Wochen vergangen, der Antragsgegner hat sich aber dem Verfügungsanspruch zu keinem Zeitpunkt widersetzt.

b) Dass der Antragsgegner sich der Erledigungserklärung erst verzögert angeschlossen hat, führt ebenfalls nicht dazu, dass er an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn hierdurch weitere Kosten entstanden wären; dafür ist aber nichts ersichtlich.

Kommentar:

Vorliegendes Urteil nimmt unter anderem Bezug auf eine Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Vorjahr. Dabei ging es um die Frage, ob man als normaler Internetanschlussinhaber für das Herunterladen oder Hochladen von urheberrechtlich geschützten Dateien (Musiktitel, Filme, Hörbücher etc.) durch Dritte verantwortlich ist. Der BGH entschied in diesem Zusammenhang, dass eine Unterlassungshaftung als Störer nur dann besteht, wenn keine Sicherung des W-LAN in Form des marktüblichen Standards zum Zeitpunkt der Einrichtung des Routers bestehe. Wenn also ein Router im Jahre 2006 eingerichtet wurde, muss dieser nicht ständig auf den aktuellen Sicherheitsstand gebracht werden. Das könne man von Privatpersonen nicht verlangen. Im Übrigen lehnte das Gericht Schadensersatzansprüche (in Form einer fiktiven Lizenzgebühr) ab, da eine Haftung als Gehilfe bei der fremden Urheberrechtsverletzung Vorsatz vorausgesetzt hätte, an dem es regelmäßig fehle. Hier mein Blog-Beitrag zu diesem BGH-Urteil vom 12.05.2010 („Sommer unseres Lebens“).