Mit rechtskräftigem Urteil vom 22.10.2010 (Az. 133 C 28852/08) hat das Amtsgericht München entschieden, dass ein Besteller auch dann infolge Mangelhaftigkeit der Ware vom Kaufvertrag zurücktreten kann, wenn er bei Aushändigung an ihn die Mangelfreiheit der Ware bestätigte, sich aber erst später ein Mangel herausstellte. Dies setzt voraus, dass der Besteller bei Warenerhalt keine Möglichkeit hatte, den Mangel wahrzunehmen.

Zum Sachverhalt:

Eine unter starkem Haarausfall leidende Frau beauftragte 2007 einen Perückenhersteller mit der Herstellung einer ihren Bedürfnissen angepassten Perücke. Vorab wurden mittels eines Gipsabdrucks des Kopfes der Kundin die Maße bestimmt sowie Farbe, Dichte und Haarnetz festgelegt. Die Perücke sollte aus hundertprozentigem europäischem Echthaar bestehen. Als Kaufpreis vereinbarten beide Vertragsparteien 2800 Euro, wovon 1400 Euro als Anzahlung geleistet wurden. Nachdem sowohl die erste als auch die zweite Perücke nicht die richtige Passform hatten, lieferte der Hersteller schließlich eine dritte Perücke, die auf die Maße der Kundin angepasst wurde. Die Kundin bestätigte schließlich per Unterschrift, dass die Perücke ihren Anforderungen entspreche:  die Passform, der Unterbau, die Haarqualität, der Zuschnitt, die Farbe und die Struktur seien vereinbarungsgemäß. Allerdings bemängelte die Kundin schon zwei Tage später, dass die Perücke zu groß sei und das Haarnetz nicht ihrer Bestellung entspreche (u.a. kein hundertprozentiges Echthaar, falsche Haarnetz-Farbe, Frisur verschnitten). Dies teilte sie dem Hersteller umgehend mit und stellte gegenüber dem Hersteller fest, bei der Perücke handele es sich lediglich um billige Stangenware, nicht aber um eine hochwertige Maßanfertigung gemäß Bestellung. Erst nach dem Anpassungstermin und nach geleisteter Unterschrift hätten sich die Mängel herausgestellt. Daher fordere sie nun ihre Anzahlung iHv 1400 Euro zurück, auch auf eine weitere Nachbesserung lege sie nach drei Fehlversuchen keinen Wert. Gegen die Forderung der Kundin wehrte sich der Hersteller. Dieser sah keine Veranlassung zur Rückzahlung der Anzahlung und forderte im Gegenzug Leistung der noch ausstehenden 1400 Euro aus dem Kaufvertrag. Er begründet seinen Standpunkt insbesondere damit, dass die die Kundin die Mangelfreiheit bestätigte. Im Übrigen sei abermals eine Nachbesserung angeboten worden, wovon die Kundin aber Abstand nahm.

In der Folge erhoben beide Parteien Klage vor dem zuständigen Amtsgericht in München.

Nun gab das Amtsgericht der Kundin Recht und wies die Klage des Herstellers auf Zahlung des Restkaufpreises ab.

In seiner Pressemitteilung 45/10 vom 25. Oktober 2010 schreibt das AG München zur Begründung:

(…) Hinsichtlich der Passgenauigkeit habe der Sachverständige jedoch ausgeführt, dass die Perücke instabil auf dem Kopf sitzt. Es hätte die Möglichkeit bestanden mit einer anderen Befestigung mehr Stabilität und Tragesicherheit zu erreichen als mit den eingearbeiteten Kämmchen. Von einer maßgerechten Perücke sei auch zu erwarten, dass sie sich den individuellen Gegebenheiten der Kopfform anpasst und Tragesicherheit bietet. Die Klägerin könne sich auch auf diesen Mangel berufen, obwohl sie die Bestätigung unterschrieben hat. Die Perücke sei bei dem Styling der Klägerin aufgesetzt und mit einem Klebestreifen auf der Stirn befestigt und sodann zugeschnitten worden. Dies bedeute, dass beim Zuschnitt eine andere Stabilität vorhanden gewesen ist, als beim normalen Tragen, wo eine Befestigung mit Klebestreifen auf der Stirn nicht vorgesehen war. Die Klägerin habe daher die Instabilität nicht gleich erkennen können. Die Klägerin habe auch nach drei Versuchen nicht noch einmal eine Nachbesserung hinnehmen müssen. Der Rücktritt sei zu Recht erfolgt. Sie habe deshalb Anspruch auf die Rückzahlung der Anzahlung und müsste den Restkaufpreis nicht bezahlen.