Rechtsnormen: §§ 15 Abs. 2, 19a, 31 Abs. 5 S. 2, 72, 97  UrhG, § 242 BGB

Der BGH hat mit Urteil vom 29.04.2010 (Az. I ZR 68/08) entschieden:

  1. Erstattet ein Sachverständiger im Auftrag eines Unfallgeschädigten ein Gutachten über den Schaden an einem Unfallfahrzeug, das dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners vorgelegt werden soll, ist der Haftpflichtversicherer grundsätzlich nicht berechtigt, im Gutachten enthaltene Lichtbilder ohne Einwilligung des Sachverständigen in eine Restwertbörse im Internet einzustellen, um den vom Sachverständigen ermittelten Restwert zu überprüfen.
  2. Der aus § 242 BGB hergeleitete Auskunftsanspruch wegen Verletzung eines Schutzrechts kann sich über die konkrete Verletzungshandlung hinaus auf Verletzungshandlungen erstrecken, die einen anderen Schutzgegenstand betreffen, wenn die Gefahr einer unzulässigen Ausforschung des Auskunftspflichtigen nicht besteht (Fortführung von BGH, 23. Februar 2006, I ZR 27/03, BGHZ 166, 233 Tz. 34 ff. –  Parfümtestkäufe).

(Leitsätze des Gerichts)

Zum Sachverhalt:

Ein Kfz-Sachverständiger, der im Auftrage eines Unfallgeschädigten ein Gutachten mit Fotos anfertigte, klagte gegen die Versicherung des Unfallgegners, die die dem Gutachten enthaltenen Bilder zusammen mit Fahrzeugdaten in eine sogenannte „Restwertbörse“ einstellte. Hier können gewerbliche Interessenten Angebote für unfallbeschädigte Autos abgeben. Versicherer prüfen basierend auf diesen Daten die von den Sachverständigen ermittelten Restwerte.

Wegen fehlender Zustimmung in eine Veröffentlichung betrachtete der Kläger das ausschließlich ihm zustehende Nutzungsrecht als verletzt. Im Wege der Klage verlangt er vom Versicherer u.a. Unterlassung und Auskunft über die Nutzung von Bildern aus früheren Gutachten.

Nachdem alle Vorinstanzen der Klage stattgaben, bestätigt nun auch der BGH die bisherigen Urteile. Der Kläger hat daher Anspruch auf Unterlassung einer Verwendung der Bilder und kann die geforderte Auskunft verlangen.

Nach Ansicht der Bundesrichter sind die Photos aus dem Gutachten als urheberrechtlich geschützte Lichtbilder iSd § 72 UrhG einzustufen. Hinsichtlich der Einstellung in die Restwertbörse, sei die Voraussetzung der Zugänglichmachung iSv § 19a UrhG erfüllt. Das durch §§ 15 Abs. 2 S. 1 und Abs. 2 geschützte ausschließliche Recht des Nutzungsrechtsinhabers, sein (eigenes) Werk öffentlich wiederzugeben, sei somit verletzt.

Weder ausdrücklich noch konkludent habe der Kläger das Recht zur öffentlichen Wiedergabe auf die Beklagte übertragen:

„Dass ein Sachverständiger das seinem Auftraggeber erstattete Gutachten über den Schaden an einem Unfallfahrzeug unmittelbar dem Haftpflichtversicherer zuleitet, entspricht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einer langen und verbreiteten Übung, die allein einer zweckmäßigen und unkomplizierten Schadensabwicklung dient. Der Gutachter handelt bei der Übermittlung des Gutachtens an den Versicherer daher in aller Regel – und so auch hier – lediglich als Bote oder Vertreter seines Auftraggebers und gibt keine Willenserklärungen im eigenen Namen ab (…). Selbst wenn – wie die Beklagte geltend macht – eine Branchenübung bestünde, nach der Autoversicherer die in Sachverständigengutachten enthaltenen Lichtbilder in Restwertbörsen einstellen, könnte daher nicht angenommen werden, der Kläger habe sich mit der Übermittlung seines Gutachtens an die Beklagte einer solchen Branchenübung unterwerfen und der Beklagten stillschweigend ein entsprechendes Nutzungsrecht einräumen oder eine entsprechende Einwilligung erteilen wollen. Aber auch seiner Auftraggeberin hat der Kläger das Recht zur öffentlichen Zugänglichmachung der Lichtbilder weder ausdrücklich noch stillschweigend eingeräumt. Diese konnte der Beklagten daher ein solches Recht weder selbst noch durch den Kläger als Boten oder Vertreter verschaffen.

Kommentar:

Das Urteil wird eine rege Diskussion nach sich ziehen.

Es ist unstreitig, dass Sachverständigengutachten lediglich zum Zweck einer reibungslosen Unfallschadensabwicklung eingeholt werden. Mit diesem Urteil müssen nun auch gesonderte Regelungen für die dem Gutachten beinhalteten Fotos getroffen werden. Im Wege einer konsequenten Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 22.04.2004, Az. I ZR 174/01 – Comic-Übersetzungen III) wäre vielmehr eine Übertragung des Nutzungsrechts auf den Versicherer erforderlich gewesen. Ein solches Nutzungsrecht für das Einstellen von Bildern in eine Restwertbörse ist branchenüblich. Das vorliegende Urteil setzt nun neue Maßstäbe. Es gilt die weitere Rechtsprechung zu diesem Themenkreis abzuwarten.