Rechtsnorm: § 3 Nr. 9 LFGB

Mit Beschluss vom 16.04.2012 (Az. 9 CS 11.4) hat der VGH München entschieden, dass in Italien hergestellte Dusch- und Badegels mit den Geschmacksrichtungen „Erdbeere“, „Schokolade“ und „Creme Caramel“ in Deutschland nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, da Duschgels, die (auch) in ihrem Aussehen und ihrer Duftnote an Lebensmittel erinnern und in einer trinkflaschenähnlichen Verpackung vertrieben werden, mit Lebensmitteln wie Milchshakes verwechselt werden können.

Zum Sachverhalt:

Der bayrische VGH hatte kürzlich einen Rechtsstreit zu entscheiden, in dem es um die appetitliche Aufmachung von in Italien hergestellten Duschgels ging.

Wie die Landesanwaltschaft Bayern berichtet, lassen sich in Drogeriemärkten und Parfümerien Duschgels finden, deren Verpackungen mit verlockenden Früchten bedruckt seien und deren Aussehen und Geruch eine Verwechslungsgefahr mit Milchshakes befürchten lassen. Ein durch eine Verwechslung verursachtes Trinken des Duschgels kann im schlimmsten Fall zu einer „chemischen Lungenentzündung“ führen, die einen lebensbedrohlichen bis tödlichen Verlauf nehmen kann. Nach deutschem Lebensmittelrecht ist das Inverkehrbringen eines solchen Produktes untersagt, jedenfalls dann, wenn die Verwechslung vorhersehbar war.

Daher untersagte das zuständige Landratsamt Miesbach der Antragstellerin, in Italien hergestellte Dusch- und Badegels mit den Geschmacksrichtungen „Erdbeere“, „Schokolade“ und „Creme Caramel“ in Deutschland in den Verkehr zu bringen.

Der bayrische VGH bestätigte nun die Ansicht der Verwaltungsbehörde.

Nach Ansicht des Gerichts sei die Verwechselungsgefahr vorhersehbar gewesen. So sei jeder Gebrauch, der so häufig vorkommt, dass mit ihm gerechnet werden müsse, vorhersehbar. Dies gelte für den vorliegenden Fall einer Produktähnlichkeit mit Milchshakes. Anhaltspunkt einer Verwechselbarkeit sei das Erkennen kleiner und kleinster Kinder. Daher sei es unerheblich, ob auf der Flasche vor dem Verzehr gewarnt wird, da Kinder dies nicht lesen, geschweige denn, ihren Sinngehalt erfassen könnten.

Zur Begründung führt das Gericht im Wortlaut aus (Volltext auf den Seiten der Landesanwaltschaft Bayern abrufbar):

„Der Umstand, dass nach dem Vortrag der Antragstellerin die beanstandeten Produkte seit fast fünf Jahren in mehreren Mitgliedstaaten der EU beanstandungslos auf dem Markt sind, ohne dass es jemals zu Verwechslungen mit Lebensmitteln und darauf zurückzuführende Gesundheitsschädigungen gekommen sei, schließt die Erfüllung des Tatbestandsmerkmal „vorhersehbar“ des § 3 Nr. 9 LFGB nicht aus. Vorhersehbar ist jeder Gebrauch, der so häufig vorkommt, dass mit ihm gerechnet werden muss. Nicht vorhersehbar ist also nur ein mutwilliger, bewusst missbräuchlicher oder ungewöhnlich leichtfertiger Gebrauch (vgl. Wehlau, a.a.O., RdNr. 66 zu § 5 LFGB). Letztgenanntes ist hier nicht der Fall. Das Verschlucken von Haushaltsmitteln (z.B. Spülmittel, Seifenlotionen, Duschgels) durch Kinder, durch in ihrer Wahrnehmung beeinträchtigte (z.B. sehbehinderte, demente oder alkoholisierte) Personen oder bei schlechten Lichtverhältnissen ist angesichts des äußeren Erscheinungsbilds der beanstandeten Produkte vorhersehbar im Sinne des § 3 Nr. 9 LFGB (vgl. auch Wehlau, a.a.O., RdNr. 67 zu § 5 LFGB). Dass es bei der Frage der Verwechselbarkeit nicht auf die allgemeine Verkehrsauffassung ankommt, sondern im Hinblick auf den Schutzzweck des § 3 Nr. 9 LFGB auf eine Verkehrsauffassung, die je nach der Art des Produkts das Erkennungsvermögen kleiner und kleinster Kinder oder von verwirrten älteren Menschen mit einschließt, hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt (S. 12 der Beschlussgründe).

Die Behauptung, die Gefahren beim Verschlucken des Inhalts der streitgegenständlichen Produkte seien im Hinblick auf den – im Vergleich zu Reinigungs- und Spülmitteln – geringeren Tensidgehalt nicht genauso groß wie die Gefahren, die beim Verschlucken von Reinigungs- und Spülmitteln entstehen könnten, steht im Widerspruch zur fachlichen Einschätzung der gesundheitlichen Folgen im Falle, dass die beanstandeten Produkte in den Mund gelangen und geschluckt werden. So stellt das Gutachten des Bayer. Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zum „Dusch- und Badegel Walderdbeere“ (siehe dort S. 4) zur Einschätzung einer möglichen Gesundheitsgefährdung durch den zur Beurteilung dieser Frage eingeschalteten Toxikologen fest, dass durch den Gehalt an waschaktiven Substanzen (Tenside wie Natriumlaurethsulfat u.a.) mit einem Aufschäumen zu rechnen sei. In der Folge könne es durch den resultierenden Husten- und Würgereiz oder nach Erbrechen des bereits verschluckten Materials zur Aspiration des Schaums und der im Mund befindlichen Flüssigkeit in die Lunge kommen. Die Aspiration von Tensiden sei bekannt dafür, toxische Pneumonitiden („chemische Lungenentzündungen“) auszulösen, die im ungünstigsten Fall einen lebensbedrohlichen oder sogar tödlichen Verlauf nehmen könnten. Eine dem Begriff Schwellendosis entsprechende Aufnahmemenge des Badegels, bei deren Unterschreitung der beschriebene Ablauf ausgeschlossen werden könnte, sei nicht verfügbar und auch nicht leicht ableitbar. Das von der Antragstellerin bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte Gutachten des Lebensmittelchemikers ****** vom 4. September 2010 vermag diese toxikologische Aussage nicht ernsthaft in Frage zu stellen. Abgesehen davon, dass es sich allein zur gutachtlichen Äußerung der Landesuntersuchungsanstalt Sachsen vom 31. August 2010 verhält, geht es von durchaus zweifelhaften Annahmen aus, so etwa der Annahme, dass – wenn überhaupt – nur wenige Tropfen des beanstandeten Produkts in den Mund gelangten und ein Trinken als nicht wahrscheinlich angenommen werden könne. Die Aussage des Gutachters „Auch ältere verwirrte Personen in einem schlechten Allgemeinzustand verfügen noch über einen intakten Geschmackssinn, so dass sie eine abstoßend schmeckende Flüssigkeit nicht trinken würden,…“, steht im offenen Widerspruch zur Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung. Dieses weist in seinem Merkblatt „Hinweis für Pflegekräfte und Reinigungskräfte“ betreffend die Vermeidung von Vergiftungsfällen bei älteren oder verwirrten Menschen ausdrücklich darauf hin, dass ältere und verwirrte Menschen „sich durch versehentliches Trinken von Duschgel, Shampoos, Schaumbad, Reinigungs- und Desinfektionsmitteln gesundheitlichen Schaden zufügen“ können und es gelegentlich zu schweren Vergiftungen bis hin zu Todesfällen kommen kann. Als eine Ursache dieser Vergiftungen nennt das Bundesinstitut dabei u.a., dass ältere Menschen häufig einen reduzierten Geruchs- und Geschmackssinn haben und deshalb schlecht feststellen können, ob sie etwas Genießbares essen oder trinken.

Die Frage, ob Bade- und Duschgels von Wettbewerbern weiter im Handel sind, die in ihrer Aufmachung mit den beanstandeten Produkten der Antragstellerin vergleichbar sind, ohne dass der Antragsgegner gegen sie vorgeht, ist für die Entscheidung nicht erheblich. Den vorgelegten Lichtbildern lässt sich das im Übrigen nicht abschließend entnehmen, da es für die Beurteilung der hier entscheidenden Frage um eine Vielzahl von Merkmalen geht, die kumulativ zur Einzelfallbewertung herangezogen werden müssen (vgl. Wehlau, a.a.O., RdNr. 62 zu § 5 LFGB). So kann unter Umständen schon die Verwendung eines anderen Flaschenverschlusses, einer engeren Flaschenöffnung oder der Zusatz eines Bitterstoffes eine andere Beurteilung in Bezug auf die Verkehrsfähigkeit zur Folge haben.