Rechtsnorm: §§ 1, 4, 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3, 10 Abs. 2 und 5 GlüStV, Art. 2 AGGlüStV, §§ 33c ff. GewO, Art. 49, 56 AEUV

Mit Urteil vom 12.01.2012 (Az. 10 BV 10.2271, 10 BV 10.2505) hat der VGH München entschieden, dass die Vermittlung von Sportwetten nicht unter Hinweis auf das staatliche Sportwettenmonopol untersagt werden kann, da das Glücksspielrecht nicht den europarechtlichen Anforderungen genügt.

Zum Sachverhalt:

Streitgegenstand sind Untersagungsverfügungen der Stadt München gegen zwei Vermittler von Sportwetten. Den Klägern wurde mit Bescheid vom 18.06.2008 unter Androhung eines Zwangsgelds in Höhe von 25.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Verbot ausgesprochen, Sportwetten zu veranstalten, durchzuführen und zu vermitteln. Die Ordnungsbehörde stützte ihre Untersagungsverfügungen auf § 9 Abs. 1 iVm § 4 Abs. 1, 2 und 4 des Ende 2011 ausgelaufenen Glücksspielstaatsvertrags. Die Wettangebote der Kläger seien strafbare Handlungen im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB. Hiergegen erhoben die Kläger Klage beim VG München, das die Verfügungen der Landeshaupt München bestätigte. Gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen erhoben legten sie sodann das Rechtsmittel der Beschwerde beim VGH München ein.

Der VGH München entschied nun im Hauptsacheverfahren, dass den Klägern die Vermittlung von privaten Sportwetten zu Unrecht untersagt worden ist.

Nach Ansicht des bayrischen Verwaltungsgerichtshofes dürfe den Klägern ihre Sportwettenvermittlertätigkeit nicht unter Hinweis auf das staatliche Sportwettenmonopol untersagt werden, da der Glücksspielstaatsvertrag den europarechtlichen Anforderungen nicht genüge.

Das Gericht führt zur Begründung aus:

„Wie schon in seinen glücksspielrechtliche Eilverfahren betreffenden Entscheidungen (vgl. z.B. BayVGH vom 21.3.2011 Az. 10 AS 10.2499 <juris>) geht der Senat unter Zugrundelegung der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts weiter davon aus, dass die das staatliche Sportwettenmonopol normierenden Bestimmungen (§ 10 Abs. 2 und 5 GlüStV) nicht den Anforderungen der Geeignetheit und Kohärenz einer (zulässigen) Beschränkung der unionsrechtlichen Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit (Art. 56 und 49 AEUV) genügen und daher mit der Folge des Anwendungsvorrangs gegen diese Grundfreiheiten verstoßen. (…) Der Senat geht – wie bereits bei seinen glücksspielrechtlichen Eilentscheidungen (vgl. z.B. BayVGH vom 21.3.2011 Az. 10 AS 10.2499 <juris>) – ungeachtet eines mittlerweile beschlossenen und von 15 Bundesländern unterzeichneten, aber noch nicht in Kraft getretenen neuen Glücksspielstaatsvertrags (vgl. z.B. Bericht der Frankfurter Allgemeinen vom 16.12.2011) und geplanter landesgesetzlicher Neuregelungen bezüglich Spielhallen (vgl. Berichte d. Münchner Merkurs vom 14.4.2011 und 10.11.2011 sowie der Süddeutschen Zeitung vom 10.11.2011) zum hier maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt von einer Inkohärenz im unionsrechtlichen Sinn jedenfalls mit Blick auf die derzeitige Praxis auf dem Sektor der sog. Gewerblichen Geldspielautomaten aus. (…) Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse steht für den Senat fest, dass mit den gewerblichen Geldspielautomaten ein Glücksspielsegment besteht, das von privaten Veranstaltern, die über eine entsprechende gewerberechtliche Erlaubnis verfügen (vgl. §§ 33c ff. GewO i.V.m. der hierzu erlassenen Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeiten (Spielverordnung) -SpielV- i.d.F. vom 27.1.2006, BGBl I S. 280), betrieben werden darf, und dass dieses Glücksspielsegment ein signifikant höheres Suchtpotential als die dem staatlichen Monopol unterliegenden Sportwetten aufweist (vgl. EuGH vom 8.9.2010 Rs. C-46/08 -Carmen Media- Ls. 2. 1. und 2. Spiegelstrich). Weiter lässt sich nach Auffassung des Senats trotz beabsichtigter künftiger Änderungen der Spielverordnung und geplanter landesgesetzlicher Neuregelungen bezüglich Spielhallen auch derzeit (noch) die Feststellung treffen, dass die zuständigen Behörden hinsichtlich des Segments der gewerblichen Geldspielautomaten eine Politik verfolgen, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen (vgl. EuGH vom 8.9.2010 Rs. C-46/08 – Carmen Media – RdNr. 68). Der Senat geht dabei weiter davon aus, dass für den Befund einer derartigen Politik der Angebotsausweitung im Sinne der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht die Feststellung erforderlich ist, dass durch die in diesem Bereich vorhandene gesetzliche Regelungskonzeption bewusst und zielgerichtet eine der Suchtprävention zuwider laufende „Expansionsstrategie“ verfolgt wird (vgl. BayVGH vom 21.3.2011 Az. 10 AS 10.2499 <juris> RdNr. 28). Gleichwohl ist die Regelungskonzeption für das Glücksspielsegment der gewerblichen Geldspielautomaten insoweit einer näheren Betrachtung zu unterziehen. (…) Überdies hat die gewerbliche Automatenindustrie die Auslegungsmöglichkeiten und Spielräume der geänderten Spielverordnung ausgenutzt und deren Vorgaben teilweise in systematischer Weise ausgehebelt, indem die neueren Automaten die Möglichkeit bieten, Geldeinsätze oder Geldgewinne in Punktezahlen umzuwandeln (und umgekehrt), um so eine höhere Gewinnchance zu suggerieren und Restriktionen der Spielverordnung zu umgehen (vgl. im Einzelnen Hayer, a.a.O., S. 48; Dhom, a.a.O., S. 398; Dürr, GewArch 2011, 99/101 ff.; Abschlussbericht „Evaluierung der Novelle der SpielV“, S. 150 ff.). (…) Damit ist aber im Ergebnis festzustellen, dass die zuständigen Behörden in Bezug auf Automatenspiele, obwohl diese ein höheres Suchtpotential aufweisen als Sportwetten, eine Politik der Angebotsausweitung betrieben haben und (noch) betreiben, die eher darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen anderen Spielen zu ermuntern, als darauf, die Spielgelegenheiten zu verringern und die Tätigkeiten in diesem Bereich in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen (vgl. EuGH vom 8.9.2010 Rs. C- 46/08 – Carmen Media – RdNrn. 67 und 68). Weiter feststellen lässt sich aber auch, dass im Segment der gewerblichen Glücksspielautomaten die mit der Fünften Änderungsverordnung verbundene (teilweise) Liberalisierung nicht durch ausreichende Maßnahmen zum Spieler- und Jugendschutz ausgeglichen worden ist und dass dies zur Folge hat, dass das Ziel des Monopols, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, damit konterkariert wird (vgl. BVerwG vom 11.7.2011 Az. 8 C 11.10 <juris> RdNr. 49).“

Kommentar:

Das Gericht ließ eine Revision zum BVerwG nicht zu.