Rechtsnormen: § 40 Abs. 1a LFGB; Verordnung (EG) Nr. 178/2002

Mit Beschluss vom 28.01.2013 (Az. 9 S 2423/12) hat der VGH Mannheim entschieden, dass verfassungs- und europarechtliche Bedenken bestehen, ob Veröffentlichungen von Hygieneverstößen im Internet zwecks vorsorgenden Gesundheitsschutzes zulässig sind. Bis zur Klärung der Rechtmäßigkeit in einem Hauptsacheverfahren kann ein betroffener Gastronom eine Veröffentlichung vorläufig unterbinden.

Zum Sachverhalt:

Am 13.09.2012 stellte das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis lebensmittelrechtliche Verstöße in der Gaststätte des Antragstellers fest. Am 17.09.2012 teilte das Amt dem Antragsteller mit, die festgestellten Verstöße im Internet veröffentlichen zu wollen. Im Rahmen einer Nachprüfung am 20.09.2012 wurden keine Verstöße festgestellt. Ende Oktober 2012 veröffentlichte das Amt unter Nennung des Namens, der Anschrift und des Betreibers der Gaststätte die Ergebnisse der Prüfung. Als Beanstandungsgrund wurde „Mängel bei der Betriebshygiene, ekelerregende Herstellungs- oder Behandlungsverfahren“ genannt. Nachträglich wurde der Hinweis „Nachkontrolle am 20.09.2012: Mängel beseitigt“ angefügt.

Mit anwaltlichem Schreiben forderte der Gastronom das Landratsamt erfolglos auf, die Eintragung zu entfernen. Daher beantragte er am 23.11.2012 beim VG Karlsruhe vorläufigen Rechtsschutz. Das Gericht untersagte der Behörde mit Beschluss vom 04.12.2012, in seinem Internetauftritt das Ergebnis einer amtlichen Kontrolle des Betriebs des Antragstellers am 13.09.2012 weiterhin zu veröffentlichen. In seiner Begründung verwies das Gericht darauf, dass an der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung erhebliche Zweifel bestünden. Gegen diese Entscheidung legte das Landratsamt das Rechtsmittel der Beschwerde beim VGH Mannheim ein.

Der VGH bestätigte nun die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Allerdings gibt das Gericht dem Antragsteller auf, bis spätestens zum 01.03.2013 ein gerichtliches Hauptsacheverfahren einzuleiten, da die Untersagung ansonsten unwirksam werde.

Nach Ansicht des Gerichts sei die einstweilige Anordnung zur Sicherung der Grundrechte des Antragstellers geboten. Eine derartige Verbraucherinformation und die damit verbundene Prangerwirkung greifen schwerwiegend in die Grundrechte des Gaststättenbetreibers auf informationelle Selbstbestimmung und die Berufsausübung ein.

Ein späteres Hauptverfahren habe zu überprüfen, ob diese Grundrechtseingriffe rechtmäßig seien. Allerdings würden in Rechtsprechung und Literatur erhebliche Zweifel an einer Rechtfertigung der Veröffentlichung derartiger Texte geäußert. Die angeführte Norm (§ 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB) sei möglicherweise auch nicht mit geltendem EU-Recht vereinbar. So diene eine Veröffentlichung gerade nicht der Abwehr einer konkreten Gesundheitsgefahr, sondern einem vorsorgenden Gesundheitsschutz. Eine solche Veröffentlichung sei aber durch die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 möglicherweise ausgeschlossen. Ein aktuell beim EuGH anhängiges Verfahren (Az. C-636/11 – „Berger“) könne hierzu in absehbarer Zukunft Ergebnisse liefern.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs sei auch sehr zweifelhaft, ob die gesetzliche Voraussetzung für die Veröffentlichung der Information, wonach „die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens 350 Euro zu erwarten ist“, den Anforderungen der Normenklarheit und Bestimmtheit genügen.

Das Gericht führt zur Begründung aus:

„Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde ist weder mit dem Haupt- noch mit dem Hilfsantrag begründet. (…) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig. Der Antragsteller begehrt bei sachdienlicher Auslegung die Unterlassung einer Internetveröffentlichung. An diesem Gegenstand hat sich im Beschwerdeverfahren dadurch nichts geändert, dass der Antragsgegner in Vollziehung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses die Interneteintragung am 19.12.2012 einstweilen gelöscht hat. (…) Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund (a) und einen Anordnungsanspruch (b) glaubhaft gemacht hat.

a) Im vorliegenden Fall besteht die Gefahr, dass im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Bereits der 10. Senat des beschließenden Gerichtshofs hat überzeugend ausgeführt, dass das Verwaltungshandeln durch amtliche Information irreversibel ist und dass daran bei Fehlinformationen auch spätere Gegendarstellungen, Richtigstellungen oder sonstige Korrekturen nichts ändern, da die faktischen Wirkungen von Information regelmäßig nicht mehr eingefangen und umfassend beseitigt werden können (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.09.2010 – 10 S 2/10 -, VBlBW 2011, 72, 73; Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 13). Eine Verbraucherinformation zu – angeblichen – Rechtsverstößen eines Unternehmens kann für dieses existenzgefährdend oder sogar existenzvernichtend wirken. Die öffentliche Zugänglichmachung von Verbraucherinformationen verdrängt außerdem, soweit es sich um personenbezogene Informationen handelt, die datenschutzrechtliche Zweckbindung (§ 18 Abs. 4 Landesdatenschutzgesetz) und ermöglicht dem Empfänger der Information deren Verwendung für beliebige Zwecke (vgl. VGH Bad.-Württ., a.a.O., m.w.N.).

Der danach bei amtlichen Verbraucherinformationen über Rechtsverstöße von Lebensmittelunternehmen auch angesichts deren Prangerwirkung regelmäßig anzunehmende Anordnungsgrund entfällt entgegen der Auffassung des Antragsgegners im vorliegenden Fall nicht deshalb, weil es in der Zeit vom 22.10.2012 bis zum 19.12.2012 bereits zu einer Veröffentlichung des Ergebnisses der Kontrolle vom 13.09.2012 gekommen ist, nachdem der Antragsteller – möglicherweise aus ihm zuzurechnenden Gründen – nicht rechtzeitig um vorbeugenden Rechtsschutz nachgesucht hat. Denn mit Blick auf die verfassungsrechtliche Garantie effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) führt der Umstand, dass die zwischenzeitliche Veröffentlichung einschließlich der dadurch ausgelösten Presseberichterstattung offenbar bereits nachteilige Folgen für die Reputation seines Gaststättenbetriebs gezeitigt hat, nicht automatisch dazu, dass der Antragsteller nunmehr auch in der Zukunft die weitere Veröffentlichung und alle damit verbundenen Folgewirkungen hinzunehmen hat. Denn mit einer Fortsetzung der Veröffentlichung wird die von ihr ausgehende Prangerwirkung perpetuiert und – auch mit Blick auf den mittlerweile gewachsenen Bekanntheitsgrad des erst seit dem 01.09.2012 geltenden § 40 Abs. 1a LFGB und der entsprechenden Internetseiten – ausgeweitet und vertieft. Dabei ist nicht auszuschließen, dass gerade die Fortdauer der Beeinträchtigung dazu führt, dass diese in eine Gefährdung der Existenz des Betriebs des Antragstellers umschlägt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht den Gerichten aufgegeben hat, wegen der Besonderheiten der Verbreitung von Informationen über das Internet – insbesondere die schnelle und praktisch permanente Verfügbarkeit der Information für jeden, der an ihr interessiert ist, einschließlich der – über Suchdienste erleichterten – Kombinierbarkeit mit anderen relevanten Informationen – den mit einer Anprangerung in diesem Medium verbundenen nachteiligen Wirkungen für grundrechtlich geschützte Belange ein gesteigertes Augenmerk zu widmen (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 09.10.2001 – 1 BvR 622/01 -, BVerfGE 104, 65, 72 f. – Schuldnerspiegel im Internet).

b) Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Regelungen des vorläufigen Rechtsschutzes – wie § 123 VwGO – gehalten, der besonderen Bedeutung der betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen. Daraus folgt die Verpflichtung, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls dann auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen, wenn diese Versagung zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt. Dies bedeutet auch, dass die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Fragen des Grundrechtsschutzes einbeziehen muss, wenn dazu Anlass besteht. Dann verlangt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beispielsweise, dass sich die Gerichte auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit berechtigten Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit und damit Gültigkeit von entscheidungserheblichen Normen und ihrer verfassungskonformen Auslegung und Anwendung auseinandersetzen. Diese Anforderungen belasten die Gerichte nicht unzumutbar, weil ihnen ein anderes Verfahren offensteht, wenn sie – beispielsweise wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit – es für untunlich halten, Rechtsfragen vertiefend zu behandeln. Sie können dann ihre Entscheidung auf der Grundlage einer Folgenabwägung ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache treffen (zum Ganzen BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 25.07.1996 – 1 BvR 638/96 -, NVwZ 1997, 479, 480, m.w.N.).

Ausgehend davon ergibt sich der Anordnungsanspruch des Antragstellers aufgrund einer Folgenabwägung. Mit der gegenständlichen Veröffentlichung im Internet wird ohne Zweifel in Grundrechte des Antragstellers eingegriffen, die auch vor Beeinträchtigungen durch schlichtes Verwaltungshandeln (Verwaltungsrealakt) schützen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.01.2012 – 6 C 9/11 -, BVerwGE 141, 329, 332 Rn. 22 m.w.N.). Betroffen sind insoweit die Schutzbereiche des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG; vgl. Becker, NJW 2011, 490, 492; Wollenschläger, VerwArch 102 (2011), 20 ff., 45 f.) und der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.05.2010 – L 10 P 10/10 B ER -, Juris Rn. 33; Wollenschläger, a.a.O., 37 ff.), ggf. auch des Rechts auf Wahrung von Betriebsgeheimnissen (Art. 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 12 Abs. 1 GG; vgl. Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 2009, § 6 Rn. 8 m.w.N.) oder des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 Abs. 1 GG). Bei einer Versagung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Fortführung der Veröffentlichung müsste der Antragsteller mit Blick auf die genannten Grundrechte schwerwiegende und ggf. existenzielle Nachteile befürchten. Von der deshalb grundsätzlich bereits im Eilverfahren gebotenen eingehenden tatsächlichen und rechtlichen Prüfung, ob ihm der in der Hauptsache geltend zu machende Unterlassungsanspruch zusteht, nimmt der Senat indes Abstand. Denn diese Prüfung wirft vor allem im Hinblick auf die der Veröffentlichung zugrunde liegende Befugnisnorm des § 40 Abs. 1a Nr. 2 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs vom 07.09.2005 in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Verbraucherinformation vom 15.03.2012, BGBl I S. 776 – LFGB – zahlreiche, zum Teil komplexe und in Rechtsprechung und Literatur kontrovers beurteilte Rechtsfragen auf, die einer vertiefenden Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen (aa). Die danach angezeigte Abwägung der gegenläufigen Interessen im Einzelfall fällt zu Lasten des Antragsgegners aus (bb).

aa) Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch findet seine Rechtsgrundlage in den genannten Grundrechten des Antragstellers (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.01.2012, a.a.O., 332 Rn. 22; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.11.2006 – 1 S 2321/05 -, VBlBW 2007, 340). (…)

(1) Nach § 40 Abs. 1a Nr. 2 LFGB informiert die zuständige Behörde die Öffentlichkeit unter Nennung der Bezeichnung des Lebensmittels oder Futtermittels sowie unter Nennung des Lebensmittel- oder Futtermittelunternehmens, unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel oder Futtermittel hergestellt oder behandelt oder in den Verkehr gelangt ist, wenn der durch Tatsachen hinreichend begründete Verdacht besteht, dass gegen sonstige Vorschriften im Anwendungsbereich dieses Gesetzes, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Gesundheitsgefährdungen oder vor Täuschung oder der Einhaltung hygienischer Anforderungen dienen, in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist und die Verhängung eines Bußgeldes von mindestens dreihundertfünfzig Euro zu erwarten ist. Zweck der Vorschrift ist es, den Verbraucher unabhängig vom Vorliegen einer Gesundheitsgefahr von Amts wegen über in der Vergangenheit liegende, herausgehobene Verstöße gegen dem Verbraucherschutz dienende Vorschriften zu informieren. Damit zielt die Bestimmung nicht auf eine Warnung der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren ab; sie bezweckt vielmehr neben einem vorsorgenden Gesundheitsschutz (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 LFGB) vor allem eine Verbesserung der aktiven Information der Öffentlichkeit und damit der Transparenz staatlichen Handelns, um dem Verbraucher eine verlässliche Grundlage für eigenverantwortliche Konsumentscheidungen auf dem Markt zu bieten (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 Buchstabe a) LFGB sowie BT-Drucks. 17/7374, S. 12, 20, 25, 27; Erlass des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg vom 28.08.2012, Az 36-5470.00/31-8302.25, S. 3; Wollenschläger, DÖV 2013, 7, 9; ders., VerwArch 102 (2011), 20 ff., 25; Schoch, NVwZ 2012, 1497, 1502). Der mit der Vorschrift ersichtlich angestrebte „Prangereffekt“ dürfte mit Blick auf das Verhalten des/der Lebensmittelunternehmer(s) sowohl eine spezial- wie eine generalpräventive Komponente aufweisen (vgl. Niedersächs. OVG, Beschluss vom 18.01.2013 – 13 ME 267/12 -, Juris Rn. 9; vgl. auch Wollenschläger, a.a.O., 24 f.).

Gegen die Vereinbarkeit der Vorschrift mit Unionsrecht sind vor allem im Schrifttum mit Blick auf Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 01.02.2002, S. 1, im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 178/2002) Einwände erhoben worden. Nach dieser Vorschrift unternehmen, wenn ein hinreichender Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel oder Futtermittel ein Risiko für die Gesundheit von Mensch oder Tier mit sich bringen kann, die Behörden unbeschadet der geltenden nationalen oder Gemeinschaftsbestimmungen über den Zugang zu Dokumenten je nach Art, Schwere und Ausmaß des Risikos geeignete Schritte, um die Öffentlichkeit über die Art des Gesundheitsrisikos aufzuklären; dabei sind möglichst umfassend das Lebensmittel oder Futtermittel oder die Art des Lebensmittels oder Futtermittels, das möglicherweise damit verbundene Risiko und die Maßnahmen anzugeben, die getroffen wurden oder getroffen werden, um dem Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten. (…) Zur Klärung der kontrovers erörterten Frage der Sperrwirkung des Art. 10 Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ist dem Europäischen Gerichtshof vom Landgericht München ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt worden (vgl. den Beschluss vom 05.12.2011 – 15 O 9353/09 -, LMuR 1/2012, 32; Rechtssache C-636/11 Berger). Das Ersuchen bezieht sich zwar auf § 40 Abs. 1 Nr. 4 LFGB, das dort gegenständliche Problem der amtlichen Information unterhalb der Schwelle des gesundheitlichen Risikos stellt sich indes auch bei § 40 Abs. 1a LFGB. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht aus.

(2) Darüber hinaus werden gegen die Bestimmung auch verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben. (a) Insoweit wird bezweifelt, ob die Regelung den rechtstaatlichen Geboten der Normenklarheit und Bestimmtheit noch gerecht wird. § 40 Abs. 1a LFGB setzt tatbestandlich voraus, dass in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt gegen sonstige Vorschriften verstoßen wurde und dass ein Bußgeld von mindestens 350,– EUR zu erwarten ist. Insbesondere die Anknüpfung an ein zu erwartendes Bußgeld in bestimmter Höhe wirft die Frage auf, ob damit die Einschreitschwelle noch hinreichend präzise und für den Betroffenen erkennbar beschrieben wurde (zu den Anforderungen etwa bei Eingriffen in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vgl. BVerfG, Urteile vom 11.03.2008 – 1 BvR 2074/05 u.a. -, BVerfGE 120, 378, 401 ff., 407 ff., und vom 13.06.2007 – 1 BvR 1550/03 u.a. -, BVerfGE 118, 168, 186 ff.; BVerwG, Urteil vom 25.01.2012, a.a.O., 341 Rn. 39). Bedenken unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit werden darauf gestützt, dass es für die von der Behörde anzustellende Prognose über die Verhängung eines Bußgelds in bestimmter Höhe an einem objektiven und transparenten Maßstab – etwa in Gestalt eines Bußgeldkatalogs – fehle, um zumindest über einen Rahmen für die Zuordnung festgestellter Verstöße zur Höhe des Bußgelds zu verfügen (vgl. Grube/Immel, ZLR 2011, 175, 192; Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 298 ff.; VG München Beschluss vom 03.12.2012 – M 18 E 12.5736 -, Juris). Die daraus folgende Gefahr einer stark unterschiedlichen Gewichtung der Verstöße und damit einer uneinheitlichen Veröffentlichungspraxis der zahlreichen Behörden werde dadurch verstärkt, dass die Prognose über das Gewicht eines Verstoßes noch durch den Umstand erschwert werde, dass die Bußgeldhöhe auch von subjektiven Faktoren bzw. persönlichen Umständen abhängt (z.B. vorsätzliche oder fahrlässige Begehung, Schuldeinsicht, wiederholte Begehung, Einkommen des Betroffenen usw.; vgl. VG München, a.a.O., Rn. 46; Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 298 f.). Nicht zuletzt mit Blick darauf, dass die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit und die Festsetzung der Höhe grundsätzlich im Ermessen der Bußgeldbehörde steht, stellt sich die Frage, ob die Bestimmung der Einschreitschwelle hier nicht zu weitgehend der freien, für den Bürger nicht vorhersehbaren Entscheidung der Exekutive überlassen wird (vgl. Kühne/Preuß, ZLR 2012, 284, 299; Grube/Immel, ZLR 2011, 644, 648 f.). (b) Schließlich hat der Senat Zweifel, ob § 40 Abs. 1a LFGB dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügt. Dieses verlangt, dass ein Grundrechtseingriff einem legitimen Zweck dient und als Mittel zu diesem Zweck geeignet, erforderlich und angemessen ist (BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370/07 -, BVerfGE 120, 274, 318 f.; Urteil vom 11.03.2008, a.a.O., S. 427). (…)

Nach alledem wirft die der gegenständlichen Veröffentlichung zugrundeliegende Bestimmung zahlreiche komplexe unions- und verfassungsrechtliche Fragen auf. Die zur verlässlichen Ermittlung der Erfolgsaussichten der Hauptsache notwendige Durchdringung dieser Fragen würde den Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach § 123 VwGO sprengen. Lediglich ergänzend bemerkt der Senat, dass sich die in Rechtsprechung und Schrifttum gegen die Vorschrift erhobenen Einwände nicht auf die vorstehend behandelten Punkte beschränken.

Die danach gebotene Abwägung der im vorliegenden Fall berührten Interessen unter Berücksichtigung der Folgen, die sich voraussichtlich an die Gewährung oder Versagung des beantragten vorläufigen Rechtsschutzes knüpfen würden, führt zum Überwiegen des Interesses des Antragstellers an einer weiteren Untersagung der Veröffentlichung.“

Kommentar:

Die Frage der Zulässigkeit von Internet-Prangern ist aktuell häufig Gegenstand von gerichtlichen Auseinandersetzungen. Der VGH verwies dabei insbesondere auf das beim EuGH anhängige Vorabentscheidungsverfahren „Berger“. In Deutschland entschied zuletzt das VG Trier, dass die Veröffentlichung von Testergebnissen einer Trierer Gaststätte in einer öffentlich einsehbaren „Schmuddel-Liste“ trotz nachgewiesener hygienischer Mängel unzulässig ist. Zuvor entschied schon das VG Berlin, dass eine im Internet veröffentlichte Gaststättenbewertung durch Behörden unzulässig ist.