Der EuGH hat heute in einem sensationellen Urteil den so genannten Widerrufsjoker für Kreditverträge wiederbelebt. Konkret geht es um Darlehensverträge, die in der Zeit zwischen 2010 und 2016 abgeschlossen wurden.

Worum geht es in dem Fall?

Das Landgericht Saarlouis hatte über den Widerruf eines Kreditvertrages bei der Kreissparkasse Saarlouis zu entscheiden. Da europarechtliche Fragestellungen eine Rolle spielten, hat das Gericht mehrere Vorlagefragen an den EuGH gerichtet. Konkret hatte im Jahr 2012 ein Verbraucher bei der Kreissparkasse Saarlouis einen grundpfandrechtlich gesicherten Kredit über 100.000 € mit einem bis zum 30.11.2021 gebunden Sollzinssatz von 3,61 % pro Jahr aufgenommen. Die Widerrufsbelehrung in dem Kreditvertrag sah so aus, dass der Darlehensnehmer seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen widerrufen kann und dass diese Frist nach Abschluss des Vertrags zu laufen beginnt, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben erhalten hat, die eine bestimmte Vorschrift des deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs vorsieht, nämlich § 492 Abs. 2 BGB. Diese Vorschrift ihrerseits verweist wieder auf eine weitere gesetzliche Vorschrift, nämlich Art. 247 §§ 6-13 EGBGB. Die Angaben für den Beginn der Widerrufsfrist sind also im Vertrag selbst nicht genannt.

Wie lautet die Entscheidung des EuGH?

Art. 10 Abs. 2‍ Buchstabe p der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 23.04.2008 über Verbraucherkreditverträge unter Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates ist dahingehend auszulegen, dass Verbraucherkreditverträge in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben müssen. Eine so genannte Kaskadenverweisung könne der Verbraucher auf der Grundlage des Vertrages weder über den Umfang seiner vertraglichen Verpflichtungen informieren noch in die Lage versetzen zu prüfen, ob der von ihm abgeschlossenen Vertrag alle erforderlichen Angaben enthält und erst recht nicht, ob die Widerrufsfrist für ihn zu laufen begonnen hat oder nicht.

Welche Kreditverträge sind von dieser Entscheidung getroffen?

Die Entscheidung betrifft Immobilienkreditverträge aus dem Zeitraum Juni 2010 und mehr 2016. Danach wurden die vertraglichen Formulierungen in Darlehensverträgen geändert.

Bei Autokrediten wird diese vom EuGH beanstandete Klausel sogar noch heute verwendet.

Welche Vorteile ergeben sich für den Verbraucher aus diesem Urteil?

Wie das Beispiel des Kunden bei der Kreissparkasse Saarlouis zeigt, hatte der Verbraucher einen Kreditvertrag mit einer Zinsbindung und einem Zinssatz von 3,61 % abgeschlossen. Die heutigen Darlehenszinsen liegen bei 1 % oder teilweise sogar noch darunter. In Anbetracht der Coronakrise deutet vieles darauf hin, dass die Kreditzinsen sogar noch weiter fallen werden. Je Kreditsumme ergibt sich dadurch eine Ersparnis von mehreren 1000 €.

Welche Chancen bieten sich für Kreditnehmer?

Das Urteil des EuGH steht im Widerspruch zu einer älteren BGH-Entscheidung. Dort war fragliche Klausel mit Kaskadenverweisung noch als rechtmäßig angesehen. Da der EuGH jedoch über dem BGH angesiedelt ist und sich der BGH an die Vorgaben des europäischen Rechts halten muss, ist anzunehmen, dass die Chancen für Verbraucher ganz erheblich gestiegen sind, ihre Rechte aus dem Widerruf durchzusetzen. Zumindest dürfte die Vergleichsbereitschaft der Kreditinstitute deutlich steigern.

Praxistipp
Kreditvertrage aus der fraglichen Zeit sollten auf die Kaskadenverweisung hin überprüft. Wenn der Widerruf abgelehnt wird, besteht dann die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche.

Die Anwaltskanzlei Dr. Graf hat schon in den vergangenen Jahren viele Mandanten bei der Rückabwicklung ihrer Kreditverträge nach Widerruf beraten.

Rufen Sie an: 05221 1879940
E-Mail: info@ra-dr-graf.de

Pressemitteilung des EuGH

Urteil des EuGH

https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2020-03/cp200036de.pdf