Rechtsnormen:                §§ 105 Abs. 4f, 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 25 Abs. 7 S. 1 AMG 1976; Art. 3 AMRNOG

Mit Urteil vom 02.12.2010 (Az. 13 A 489/08) hat das OVG Münster entschieden:

1. Zum Erlöschen der gesamten fiktiven Zulassung eines Arzneimittels im Nachzulassungsverfahren bei Abweichung von den in einer Aufbereitungsmonographie genannten Anwendungsgebieten.

2. Für den Umfang der erforderlichen Prüfungen eines Arzneimittels kann unter anderem auf die Arzneibücher, die Arzneimittelprüfrichtlinien und die Leitlinien (Guidelines oder Notes for guidance) der Ausschüsse der Europäischen Arzneimittelagentur (European Medicines Agency – EMA  -, vormals: European Agency for the Evaluation of Medicinal Products – EMEA -) zurückgegriffen werden.

3. Zu den Anforderungen an die Durchführung eines Arzneimitteltests auf örtliche Hautverträglichkeit (sog. Magnusson-Kligman-Tests an Meerschweinchen).

(Leitsätze des Gerichts)

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin begehrt im Nachzulassungsverfahren die Verlängerung ihrer fiktiven Zulassung für ein zur äußerlichen Anwendung auf der Haut vorgesehenes Gel, das als arzneilich wirksamen Bestandteil 20 g Arnikatinktur je 100 g Arzneimittel und im Übrigen hauptsächlich gereinigtes Wasser und Ethanol (96 %) sowie weitere, arzneilich nicht wirksame Inhaltsstoffe in geringen Mengen, enthält. Die Klägerin nahm mit einer Änderungsanzeige einen vollständigen Austausch der ursprünglichen Wirkstoffe vor. Hierbei bezog sie sich auf die Monographie zu Arnikablüten, die im Bundesanzeiger vom 5. Dezember 1984 veröffentlicht  wurde. Allerdings gehen die von der Klägerin ursprünglich angezeigten Anwendungsgebiete deutlich über die in der Monografie genannten Anwendungsgebiete hinaus. Zwecks Nachweises, dass das Produkt ausreichend geprüft worden sei,  legte die Klägerin dem Gericht Ergebnisse eines Magnusson-Kligman-Tests zur Hautverträglichkeit vor.

Nachdem zunächst das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen hatte, da der verlangte vollständige Inhaltsaustausch unzulässig sei, wies nun auch das OVG die Berufung als unbegründet ab.

Nach Ansicht der Münsteraner Richter sei der Versagungsbescheid mangels fiktiver Zulassung und unzureichender Arzneimittelprüfung rechtmäßig. Obwohl der Komplettaustausch der Wirkstoffe grundsätzlich zulässig  sei, fehle eine vollständige Anpassung an die vorgelegte Monografie. So gingen die angegebenen Indikationen über den Inhalt der Monografie hinaus. Dadurch sei die fiktive Zulassung insgesamt erloschen.

Kommentar:

Eine wichtige Bedeutung kommt diesem Urteil hinsichtlich des Stellenwerts von Arzneibüchern und Arzneimittelprüfrichtlinien zu.  Sachverständigengutachten, die dem Gericht (wie im vorliegenden Fall geschehen) vorgelegt werden, entfalten allerdings keine unmittelbare Rechtsbindungswirkung. In den meisten Fällen werden die Gerichte solchen Expertisen folgen, jedoch besteht auch in wissenschaftlich begründeten Fällen stets die Möglichkeit eines Abweichens hiervon.