Rechtsnormen: § 8 Absatz 1 Nr. 2 AMG; § 29 Absatz 2 Satz 1 AMG

Mit Beschluss vom 19.07.2013 (Az. 13 A 719/13) hat das OVG Münster ein Urteil des VG Köln vom 05.02.2013 (Az. 7 K 6575/10) bestätigt, wonach bei einem Arzneimittel gegen Sodbrennen der Bezeichnungszusatz „akut“ vom Verbraucher mit einem schnellen Wirkungseintritt in Verbindung gebracht werden kann. Wenn das Mittel einen schnellen Wirkungseintritt jedoch erfüllt, verstößt der Bezeichnungszusatz somit gegen das Irreführungsverbot des Arzneimittelgesetzes.

Zum Sachverhalt:

Bis Mitte 2009 unterlagen Arzneimittel zur Behandlung von Sodbrennen und saurem Aufstoßen mit dem Wirkstoff „Omeprazol“ der Verschreibungspflicht. Seitdem herrscht nur noch Apothekenpflicht. Die Klägerin änderte daraufhin die Bezeichnung ihres Arzneimittels von „P. I. 20 mg“ in „P.akut20 mg“. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) beanstandete Anfang 2010 die Bezeichnungsänderung als irreführend nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Es führte aus: „Der Bezeichnungszusatz „akut“ werde von weiten Anwenderkreisen mit einem besonders schnellen Wirkeintritt in Verbindung gebracht. Eine Zeitdauer von 1-2 Stunden sei hiermit nicht vereinbar. Eine restriktive Handhabung der Bezeichnungsvorschriften diene einer klareren Arzneimittelkennzeichnung im apothekenpflichtigen OTC-Bereich. Dürfte jedes Arzneimittel mit einem durchschnittlichen Wirkeintritt nach 1-2 Stunden den Zusatz „akut“ tragen, könnten 80% der apothekenpflichtigen Arzneimittel in diesem Sinne gekennzeichnet werden. Damit verlöre sich aber der unterscheidende Charakter des Bezeichnungszusatzes.“ Die Klägerin hält dem entgegen, es komme sowohl im Wettbewerbs- als auch im Arzneimittelrecht nach der EuGH-Rechtsprechung auf die Sicht des aufmerksamen und informierten Verbrauchers an. So mache sich der Verbraucher tatsächlich zunächst einmal gar keine Gedanken über die eventuelle Bedeutung eines Bezeichnungszusatzes. Das BfArM stellte sodann mit Bescheid fest, dass die Bezeichnungsänderung irreführend und somit unzulässig sei. Hiergegen reichte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein. Schließlich erhob sie Klage beim VG Köln.

Das Verwaltungsgericht entschied:

„Die Ablehnung der Änderung der Bezeichnung des Arzneimittels von „P. I. 20 mg“ in „P. akut 20 mg“ im Bescheid vom 28.07.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf eine entsprechende Änderung des Zulassungsbescheides (§ VWGO § 113 Abs. VWGO § 113 Absatz 5 Satz 1 VwGO). (…) Einem Anspruch der Klägerin auf Änderung des Zulassungsbescheides steht der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i. V. m. § AMG § 8 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AMG entgegen. Denn ein Inverkehrbringen des Arzneimittels unter der neuen Bezeichnung „P. akut 20 mg“ verstößt gegen das Irreführungsverbot des § 8 AMG.

Gemäß § 8 Abs. AMG § 8 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AMG ist es verboten, Arzneimittel mit irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung in den Verkehr zu bringen. Nach Satz 2 lit. a) der Vorschrift liegt eine Irreführung insbesondere vor, wenn Arzneimitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen oder Wirkstoffen eine Aktivität beigelegt werden, die sie nicht haben. Hierbei macht die Formulierung „insbesondere“ deutlich, dass die aufgeführten Irreführungstatbestände nicht abschließend sind, sondern lediglich Beispielscharakter haben. (…) Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 8 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 AMG gelten mit Blick auf die Bedeutung des Rechtsgutes Gesundheit und der hohen Werbewirkung gesundheitsbezogener Aussagen strenge Anforderung an den Ausschluss einer Irreführung. (…) Ob eine Bezeichnung irreführend ist, bestimmt sich im Arzneimittelrecht aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers. Abzustellen ist damit auf die Frage, ob die gewählte Bezeichnung geeignet ist, bei einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise eine Fehlvorstellung über wesentliche Eigenschaften des Produkts zu wecken. Richtet sich die Bezeichnung sowohl an ein Fach- als auch an ein Laienpublikum, so ist der Irreführungstatbestand erfüllt, wenn diese Möglichkeit zumindest innerhalb einer dieser Gruppen besteht. (…) Die Bezeichnung eines Arzneimittels richtet sich nicht nur an fachlich besonders ausgebildete und informierte Kreise, wie Ärzte oder Apotheker, sondern gerade auch an Patienten und Endverbraucher. Dies gilt in verstärktem Maße für Präparate, die nicht der Verschreibungspflicht unterliegen. Augenfällig ist, dass die Bezeichnungsänderung in unmittelbarem zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit dem Wegfall der Verschreibungspflicht für omeprazolhaltige Arzneimittel durch die 7. VO zur Änderung der Arzneimittel-VerschreibungsVO vom 21.07.2009 (BGBl. I 2114) in der Wirkstärke 20 mg zur Behandlung von Sodbrennen und saurem Aufstoßen erfolgte, die von der Klägerin auch hinsichtlich der Anwendungsgebiete nachvollzogen wurde. Es werden damit gerade medizinische Laien angesprochen, die unter den besagten Alltagsbeschwerden leiden. Dem steht nicht entgegen, dass „P. I. 20 mg“ weiterhin apothekenpflichtig ist. Denn die im Interesse der Arzneimittelsicherheit bestehende Beratungspflicht des Apothekers ist nicht geeignet, allen aufkommenden Fehlvorstellungen der Patienten von den Wirkungen eines Arzneimittels vorzubeugen. Zudem wird sie in der täglichen Praxis durchaus unterschiedlich gehandhabt. Schließlich ist die Apotheke mit der Möglichkeit persönlicher Beratung nach dem Vordringen des Internet-Versandhandels auch für apothekenpflichtige Arzneimittel (§ APOTHG § 11a ApoG) nur noch ein möglicher Vertriebsweg. Die angesprochenen Verkehrskreise werden mit dem Bezeichnungszusatz „akut“ in erster Linie eine schnelle Wirkung des Arzneimittels verbinden. Die Erwartung des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers wird sich, gelenkt durch den Zusatz, zumindest auch auf die Erwartung richten, von den als unangenehm empfundenen Beschwerden in kurzer Zeitspanne erlöst zu werden. Die von der Klägerin beschriebene Bezugnahme auf die Behandlung akuter Verlaufsformen von Sodbrennen und saurem Aufstoßen – sofern es solche gibt – im Gegensatz zu chronischen Verläufen, die eine Langzeitbehandlung mit verschreibungspflichtigen Omeprazol-Präparaten erfordern, wird sich dem nicht medizinisch vorgebildeten Verbraucher in der Regel nicht sogleich erschließen. Denn das Wort „akut“ wird sowohl im allgemeinen wie im medizinischen Kontext gebraucht. In der Allgemeinsprache dient es der Bezeichnung vordinglicher, unmittelbarer, jetzt „brennender“ Zustände. Angesprochen sind damit die Aktualität und die Dringlichkeit eines Problems. Der Schluss auf den Wunsch des Verbrauchers, ein dringendes Problem, insbesondere wenn es gesundheitlicher Natur ist, auch schnell zu lösen, ist damit naheliegend. Zwar trifft es zu, wenn die Klägerin darauf hinweist, dass „akut“ als Adjektiv im medizinischen Zusammenhang Beginn und Verlauf einer Erkrankung bezeichnet, etwa bei „akuter“ Lungenentzündung oder „akutem“ Fieber. In diesem Sinne findet sich im allgemeinen Sprachgebrauch auch der Hinweis auf ein „akutes“ Problem. Diese rein sprachwissenschaftliche Deutung des Wortes, wie sie in dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten Kepplinger vom 04.09.2009 zum Ausdruck kommt, ist jedoch zur Bewertung der Verbrauchererwartung bei einer Arzneimittelbezeichnung allein nicht geeignet. Denn das Empfinden des Verbrauchers orientiert sich nicht an linguistischen Richtigkeitskategorien, sondern an der Alltagssprache. Diese ist häufig inkorrekt. Diesen Umstand macht sich Werbung gerade zunutze, um durch Wortschöpfungen oder neue Wortzusammenhänge Aufmerksamkeit zu erregen und ein Produkt im Gedächtnis des Verbrauchers zu verankern. (…) Dies vorausgesetzt, schließt sich die Kammer der Auffassung des LG München I, das in dem das streitbefangene Arzneimittel betreffenden wettbewerbsrechtlichen Verfahren ausgeführt hat, mit „akut“ verbinde sich bei den angesprochenen Verkehrskreisen ein sehr schnell, zumindest aber schneller als andere Präparate wirkendes Produkt, ausdrücklich an. (…) Der Bezeichnungszusatz ist auch irreführend, da das Arzneimittel keine besonders schnelle oder zumindest schnellere Wirkung hat. (…) Unerheblich ist, dass derzeit auch andere Arzneimittel mit dem Bezeichnungszusatz „akut“ im Verkehr sind. Hierbei handelt es sich um Präparate mit anderen Indikationen, die jeweils anhand des konkreten Einzelfalles zu bewerten sind. (…)“

Dieser Entscheidung schloss sich nun das OVG Münster im Berufungsverfahren an. So seien keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils dargelegt. Der Senat ist der Überzeugung, dass „jedenfalls ein erheblicher Teil der durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher die Bezeichnung „P.    akut 20mg“ aber im Sinne einer schnellen Wirkung dieses Arzneimittels gegenüber solchen Beschwerden versteht“.

Die Entscheidung des OVG Münster ist rechtskräftig.