Rechtsnormen: § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG; §§ 4a Abs. 6, 5, 7, 7b DiätV; § 2 LFGB; §§ 1, 4 Abs. 3 S. 2 NemV
Mit Beschluss vom 17.09.2012 (Az. 13 LA 192/11) hat das OVG Lüneburg entschieden, dass ein Vitamin- oder Mineralstoffkonzentrat nur unter sehr engen Voraussetzungen als diätisches Lebensmittel eingeordnet werden kann. Eine solche Einordnung kann nicht erfolgen, wenn ein hochdosiertes Zinkpräparat als „diätetisches Lebensmittel zur besonderen Ernährung und Unterstützung des Immunsystems bei unzureichender Zinkversorgung“ angeboten wird. Hierbei handelt es sich um ein Nahrungsergänzungs- oder Arzneimittel. Eine „Flucht ins Diätrecht“ ist unzulässig.
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten die Zulassung des Produktes „C. Zink + Histidin“ in Tablettenform als diätisches Lebensmittel. Die Tabletten beinhalten je 15 mg Zink (Zinkgluconat) und des 75 mg der Aminosäure Histidin. Das Zink soll einen ernährungsphysiologischen Zweck erfüllen; Aufgabe des Histidins ist es, bei der Aufnahme des Zinks im menschlichen Organismus zu helfen. Auf der Verpackung ist das Produkt mit den Hinweisen „Diätetisches Lebensmittel zur besonderen Ernährung und Unterstützung des Immunsystems bei unzureichender Zinkversorgung“ und „Hochdosiert – 15 mg Zink“ versehen.
Die Beklagte untersagte der Klägerin Mitte 2009 gemäß § 4a Abs. 6 DiätV das Inverkehrbringen des Produkts als Diätmittel. Sie begründet ihre Ansicht damit, dass keine bestimmte Personengruppe benannt werde, die sich in einer besonderen körperlichen Situation befinde und somit diätbedürftig sei. Auch sei das Produkt nicht von höher konzentrierten Nahrungsergänzungsmitteln zu unterscheiden. Allerdings könne das Produkt infolge der gewählten Dosierung bereits als Arzneimittel bezeichnet werden. Die Klägerin hält dem entgegen, dass sich Personen mit einer Zinkunterversorgung in einer besonderen physiologischen Situation iSv § 1 Abs. Nr. 1b DiätV befänden. Im Übrigen sei die Diätneigung des Produktes ohne Weiteres erkennbar.
Nachdem das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen hatte, bestätigte nun auch das OVG Lüneburg die Untersagungsverfügung der Behörde.
Nach Ansicht des OVG bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Das OVG lässt zwar offen, ob es im Rahmen der Definition eines diätetischen Lebensmittels nach § 1 Abs. 1, 2 Nr. 1b) DiätV auf eine Erkennbarkeit der Zugehörigkeit zu einer entsprechend dieser Bestimmung beschriebenen Personengruppe ohne Diagnose durch Dritte (Ärzte) ankommt. Jedoch bestätigt es das VG dahingehend, dass es „bei der Auslobung des Erzeugnisses als „diätetisches Lebensmittel zur besonderen Ernährung und Unterstützung des Immunsystems bei unzureichender Zinkversorgung“ jedenfalls offenkundig an einer den Anforderungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) DiätV genügenden Beschreibung einer bestimmten Gruppe von Personen fehle, die sich in „besonderen physiologischen Umständen befinden und deshalb einen besonderen Nutzen aus der kontrollierten Aufnahme bestimmter in der Nahrung enthaltener Stoffe ziehen können“. Nur wenn diese Voraussetzungen vorlägen, sei es zulässig, ein Produkt als „diätisches Lebensmittel“ zu bezeichnen.
Weiter führt das Gericht zur Begründung aus:
„Der Senat hält schon für äußerst zweifelhaft, ob es überhaupt gelingen kann, ein bloßes Vitamin- oder Mineralstoffkonzentrat als herkömmlich typisches Nahrungsergänzungsmittel bzw. Supplement zu einem diätetischen Lebensmittel zu machen. Das Diätrecht hat nämlich ersichtlich nicht etwa „diätetische Nahrungsergänzungsmittel“ und damit letztlich den Zusatzstoffen gleichgestellte Stoffe (§ 2 Abs. 3 Satz 2 LFGB) zum Hauptregelungsgegenstand, sondern eigentliche Lebensmittel i. S. d § 2 Abs. 2 LFGB mit einer besonderen Beschaffenheit und Zusammensetzung, aus der eine Diäteignung resultiert. Vitamine und Mineralstoffe, die einem physiologischen oder diätetischen Zweck dienen sollen, werden von §§ 5, 7, 7b und der Anlage 2 DiätV gerade als Zusatzstoffe für diätetische Lebensmittel qualifiziert und reglementiert, so etwa auch Zink bzw. Zinkgluconat. Angesichts dieser Regelungszusammenhänge erscheint kaum vorstellbar, einen Stoff, der an sich als Zusatzstoff eines diätetischen Lebensmittels qualifiziert und reglementiert wird, seinerseits zu einem diätetischen Lebensmittel zu machen. Selbst, wenn man dies und damit quasi „diätetische Nahrungsergänzungsmittel“ überhaupt für möglich halten wollte, ergibt sich aus den Regelungszusammenhängen, dass die Inanspruchnahme des Diätrechtsregimes für ein Vitamin- oder Mineralstoffkonzentrat nur unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht kommen kann. Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf das streitgegenständliche Erzeugnis offenkundig nicht erfüllt.
Die Klägerin zielt mit ihrem Produkt „C. Zink + Histidin“ ersichtlich darauf ab, zu den herkömmlich in markttypischer Weise als Nahrungsergänzungsmittel (bei einer Dosierung von etwa 5 mg) oder als apothekenpflichtiges Arzneimittel (bei einer Dosierung von 12,5 bis 25 mg) in Verkehr gebrachten Erzeugnissen in Konkurrenz zu treten. Dies soll mit einem hinsichtlich der Abgrenzung zwischen Nahrungsergänzungs- und Arzneimitteln grenzwertig hoch dosierten Produkt erfolgen, wobei in „innovativer“ Weise das Diätrecht in Anspruch genommen werden soll. Bei tatsächlicher Geltung des Diätrechts würde die Klägerin das Produkt in einer für sie rechtlich und wirtschaftlich in mehrfacher Hinsicht vorteilhaften Weise sowohl den rechtlichen Vorgaben für Arzneimittel als auch denjenigen für Nahrungsergänzungsmittel entziehen können. Diese beabsichtigte „Flucht ins Diätrecht“ ist indessen nicht gelungen. Bei dem klägerischen Produkt handelt es sich nämlich in Wahrheit dem Grunde nach lediglich um ein typisches Nahrungsergänzungsmittel, dass sich aufgrund der hohen Dosierung im Hinblick auf eine Abgrenzung zu einem Funktionsarzneimittel i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AMG als problematisch erweist:
Zu den in § 1 Nahrungsergänzungsmittelverordnung – NemV – definierten Nahrungsergänzungsmitteln gehören Lebensmittel in Tablettenform, die als Nährstoffkonzentrate aus Vitaminen und Mineralstoffen einschließlich Spurenelementen dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung zu ergänzen. Für solche Vitamin- und/oder Mineralstoffkonzentrate sind u. a. umfangreiche Kennzeichnungsvorschriften zu beachten, so muss etwa nach § 4 Abs. 3 Satz 2 NemV in Abweichung zum allgemeinen Nährwertkennzeichnungsrecht stets verbindlich jeweils der Prozentsatz der in Anlage 1 der Nährwert-Kennzeichnungsverordnung – NKV – angegebenen Referenzwerte der empfohlenen Tagesdosen angegeben werden, die sich für Zink auf 10 mg/Tag beläuft. Die genannten Definitionsmerkmale und Anforderungen für ein Nahrungsergänzungsmittel treffen für das Produkt der Klägerin ersichtlich zu, allerdings enthält es nach der Verzehrsempfehlung bereits 150 % der empfohlenen Tagesdosis Zink, was die – vorliegend allerdings nicht streitgegenständliche – Abgrenzungsproblematik zu einem Arzneimittel nahelegt. Entscheidend ist hingegen die Abgrenzung zu einem Nahrungsergänzungsmittel. Die Klägerin hat mit ihrem Produkt nicht das für ein Nahrungsergänzungsmittel geltende Definitionsmerkmal des „Bestimmtseins zur Ergänzung der allgemeinen Ernährung“ nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 NemV verlassen. Ein „Bestimmtsein für eine besondere Ernährung“ i. S. d. § 1 Abs. 1 DiätV wird zwar von der Klägerin beansprucht, liegt aber in Wahrheit nicht vor. Der Ausgleich eines nicht optimalen Versorgungsstatus mit Vitaminen und Mineralstoffen kann schlechterdings für jedermann von Nutzen sein, was dann – abgesehen von Mangelzuständen mit Krankheitswert – typischerweise mit Nahrungsergänzungsmitteln erfolgen kann, wenn eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung alleine nicht als ausreichend angesehen wird. Dadurch wird aber der Bereich der allgemeinen Ernährung nicht sogleich zu einer besonderen im diätrechtlichen Sinne. Dies versucht die Klägerin letztlich nur zu konstruieren, indem sie behauptet, bei der gewählten hohen Dosierung werde der für Nahrungsergänzungsmittel einschlägige Bereich der Prophylaxe verlassen, nicht aber sogleich der für Arzneimittel einschlägige Bereich eines festgestellten krankhaften Zinkmangels eröffnet. Dies ist schon im Ansatz wenig überzeugend.
Jedenfalls aber stellt die gewählte Auslobung für Personen mit „unzureichender Zinkversorgung“ eine den Anforderungen des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) DiätV nicht gerecht werdende Tautologie dar. Die Nennung des Personenkreises mit „unzureichender Zinkversorgung“ beinhaltet letztlich nicht mehr als die Aussage, dass das Produkt dafür geeignet sein soll, den Zinkbedarf von Personen zu decken, die einen Zinkbedarf haben. Die Normkonstruktion des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) DiätV setzt aber voraus, dass gerade ein besonderer physiologischer Umstand einer Personengruppe einen Bedarf zur Folge hat, so dass diese aus dem Lebensmittel einen besonderen Nutzen ziehen kann. Eine Gruppendefinition, die allein aus einer angenommenen Bedarfssituation heraus erfolgt, genügt dafür nicht; die „besonderen physiologischen Umstände“ müssen vielmehr etwas qualitativ anderes sein, als der bloße abstrakte Bedarf selbst. Die Beklagte weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass insoweit nur die Benennung typischer Lebensumstände bzw. -situationen in Betracht kommen kann. Daran fehlt es beim klägerischen Produkt. Der ohnehin schon unspezifisch beschriebene Personenkreis wird dabei durch die bei der Auslobung verwendete zusätzliche gesundheitsbezogene Angabe „zur Unterstützung des Immunsystems“ noch weiter verallgemeinert. Dieser Zweck verspricht nämlich für nahezu jeden Menschen einen Nutzen. Die beschriebene Personengruppe bleibt somit konturenlos, was gerade für die im Hinblick auf Vitamin- und Mineralstoffkonzentrate besonders strengen Anforderungen bei einer vom Lebensmittelunternehmer beabsichtigten Einordnung als diätetisches Lebensmittel nicht ausreichen kann.“