Mit aktuellem Urteil vom 06.10.2010 (Az. 4 U 106/10) hat das OLG Stuttgart die Unterlassungsklage eines Erben des Architekten des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Prof. Paul Bonatz, gegen die Deutsche Bahn AG und eine weitere Bahngesellschaft wegen des geplanten Abriss des Kopfbahnhofs zurückgewiesen. Nach Ansicht des Gerichts ist der Abriss erforderlich, um den Durchgangsbahnhof wie geplant schaffen zu können.
Zum Sachverhalt:
Im Rahmen des aktuell öffentlich heiß diskutierten Projektes der Deutschen Bahn, den Stuttgarter Hauptbahnhof von einem Kopf- in einen Durchgangsbahnhof umzuwandeln („Stuttgart 21“), wurde unter anderem beschlossen, beide Seitenflügel des Kopfbahnhofs sowie die Treppenanlage in der großen Schalterhalle des denkmalgeschützten Baus abzureißen. Der Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahnbundesamtes wurde am 28. Februar 2005 öffentlich bekannt gemacht.
Nachdem ein Enkel des Architekten und Urhebers, Prof. Paul Bonatz (verstorben 1956), gegen den geplanten Abriss bereits im Planfeststellungsverfahren Einwendungen erhoben hatte, die zurückgewiesen wurden, wehrt er sich nun mit der eingereichten Klage. Seiner Meinung nach bedeutet der geplante Abriss eine unzulässige Verstümmelung des Gebäudegesamteindrucks.
Nachdem die Klage in erster Instanz vor dem Landgericht Stuttgart (Urteil vom 20.05.2010, Az. 17 O 42/10) abgewiesen wurde, fordert der Kläger im Berufungsverfahren wegen des mittlerweile erfolgten Abbruchs des Nordflügels dessen Wiederaufbau und begehrt weiterhin die Unterlassung des Abbruchs des Südflügels und der Treppe in der großen Schalterhalle.
Mit vorliegendem Urteil bestätigt nun die Stuttgarter Oberlandesrichter das erstinstanzliche Urteil. Das Gericht begründet seine Entscheidung mit überwiegenden Interessen der Deutschen Bahn AG im Wege einer Güterabwägung.
In seiner Pressemitteilung vom 06.10.2010 führt das OLG Stuttgart aus:
Dabei ist anerkannt, dass ein sogenanntes urheberrechtliches Änderungsverbot existiert. Dieses Änderungsverbot bestimmt, dass auch der Eigentümer des Werkoriginals (das ist hier das Bahnhofsgebäude, in dem sich die urheberrechtliche Leistung verkörpert) grundsätzlich keine in das fremde Urheberrecht eingreifenden Änderungen an dem ihm gehörenden Original vornehmen darf. Der Urheber hat ein Recht darauf, dass das von ihm geschaffene Werk in einer unveränderten Gestalt erhalten bleibt. Da sich insbesondere bei Werken der Baukunst – urheberrechtlich geschützten Gebäuden – im Laufe der Zeit ein Bedürfnis des Eigentümers an Veränderungen ergeben kann, ist jedoch anerkannt, dass dieser Konflikt zwischen Urheberrecht und Eigentum durch eine Abwägung der jeweils betroffenen Interessen im konkreten Einzelfall zu lösen ist. Abzuwägen sind das Bestands- und Integritätsinteresse des Urhebers an der Erhaltung des Werks und die Interessen des Eigentümers an einer Beeinträchtigung und Veränderung des Werks, also das Erhaltungsinteresse des Urhebers gegen das Änderungsinteresse des Eigentümers. Für die Abwägung dieser Interessen hat die Rechtsprechung Kriterien entwickelt.
Insoweit gelten aber keine starren und allgemein gültigen Regeln, sondern maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles.
Maßgeblicher und wesentlicher Abwägungsfaktor ist zunächst der individuelle Schöpfungsgrad, der Rang des Werkes.
(…) Im Rahmen der Interessenabwägung waren für den Senat folgende Gesichtspunkte entscheidend: Trotz des hohen Schöpfungsgrads und des überragenden Rangs des Bahnhofs als Werk der Baukunst und einem deshalb hohen Erhaltungsinteresse des Urhebers und trotz des erheblichen Eingriffs in das Gesamtbauwerk überwiegen im hier vorliegenden Sachverhalt die Eigentümerinteressen der Beklagten. Das Bestands- und Integritätsinteresse des Urhebers Bonatz damit tritt hinter dem Veränderungsinteresse der Beklagten zurück. Maßgeblich und wesentlich ist insoweit, dass die berechtigten Modernisierungsinteressen der Beklagten bei dem ca. 90 Jahre alten Bahnhof als Zweck- und Verkehrsbau – Änderung des Kopfbahnhofs in einen Durchgangsbahnhof – nach dem von der Bahn geplanten Entwurf nur mit einem Abriss der Seitenflügel und einer Veränderung der Treppenanlage in der großen Schalterhalle erreicht werden können, da der Durchgangsbahnhof die Seitenflügel durchsticht und in deren Fundamente hereinragt, die neue Decke des Tiefbahnhofs die Flügel statisch nicht tragen kann und die Treppenanlage nicht mehr als Zugang zu den Bahngleisen dienen kann. Der Abriss ist daher erforderlich, um den Durchgangsbahnhof wie geplant schaffen zu können.
(…) Hinzu kommt, dass die Urheberinteressen angesichts der verbleibenden Schutzdauer von lediglich 16 Jahren erheblich an Gewicht verloren haben, und ferner, dass die Beklagten mit dem Umbau des Bahnhofs ihrer öffentlichen Pflicht genügen, der Allgemeinheit eine moderne Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen.
(…) Der Senat ist der vom Kläger vertretenen Auffassung, es bestehe eine Pflicht zur Prüfung von weniger einschneidenden Planungsvarianten, nicht gefolgt. Zwar muss der Eigentümer eines urheberrechtlich geschützten Bauwerks bei Abänderungen grundsätzlich eine die urheberrechtlichen Interessen möglichst wenig berührende Lösung suchen. Wenn der Eigentümer sich aber für eine bestimmte Lösung entschieden hat, geht es bei der Interessenabwägung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur noch darum, ob die geplanten konkreten Änderungen des Bauwerks zumutbar sind. Ob daneben noch andere, dem Urheber gegebenenfalls weniger beeinträchtigende Lösungen denkbar sind, ist hierfür nicht mehr von entscheidender Bedeutung.
Nicht entschieden hat der Senat die Frage, ob und inwieweit der Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahnbundesamts der Klage entgegensteht.
Kommentar:
Der Senat ließ die Revision gegen das Urteil nicht zu. Somit ist das Urteil voraussichtlich rechtskräftig. Einzige Möglichkeit des Klägers, das Urteil doch noch aufheben zu lassen, ist eine sogenannte Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof. Über die Zulassung hierzu entscheidet dann der Bundesgerichtshof. Es ist aber fraglich, ob der BGH, falls dieser Rechtsweg eingeschlagen werden sollte, hier zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanzen kommen wird.