Rechtsnormen: §§ 8 Abs. 1, 3, 5 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1, 5a UWG
Mit Urteil vom 26.10.2010 (3 U 914/10) gab das OLG Nürnberg einer Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V. gegen einen großen Lebensmittel-Discounter aus Nordbayern statt. Der Beklagten wurde unter Androhung von Ordnungsgeld oder Ordnungshaft untersagt, weiterhin eine CD-Box mit der Aufschrift „100 Number 1 Hits“ zu vertreiben, ohne deutlich darauf hinzuweisen, dass es sich dabei nicht allein um Aufnahmen der ursprünglichen Chart-Hits handele, sondern auch um „Re-Recordings“ und Liveaufnahmen.
Zum Sachverhalt:
Die Beklagte bietet als Lebensmittel-Discounter auch Non-Food-Produkte an. Vorliegend bot sie eine CD-Box mit der Aufschrift „100 Number 1 Hits“ an, die 5 CDs enthielt und sowohl im Internet als auch in den Geschäftsräumen der Beklagten zu einem Preis von 4,99 Euro käuflich zu erwerben war. Überwiegend gaben die einzelnen Stücke nicht die Original-Aufnahmen der damaligen Hitlisten wieder, sondern waren lediglich „Re-Recordings“ (Neueinspielungen eines Titels aus späterer Zeit von einem oder mehreren Mitgliedern der Originalgruppe bzw. des Originalkünstlers). Auch Liveaufnahmen waren unter den 100 „Hits“. Sowohl Werbung als auch die CD sowie die Cellophanhülle gaben den Kaufinteressenten keine Hinweise, bei welchen Titeln es sich um Re-Recordings bzw. Liveaufnahmen handelte. Erst nach Entfernen der Hülle und Herausnahme der einzelnen CDs waren den Rückseiten der CD-Hüllen weitere Hinweise zu entnehmen.
In diesem Verhalten sah der klagende Wettbewerbsverband einen Verstoß gegen geltendes Wettbewerbsrecht. Nach seiner Auffassung gingen die Verbraucher davon aus, dass es sich bei allen Aufnahmen tatsächlich um Aufnahmen der ursprünglichen Hits handele, wie diese ursprünglich in den Charts vertreten waren. Auch ein auf der CD-Hülle angebrachter gelber Aufkleber „Original Artists. Super Qualität“, der weiter unten und sehr viel kleiner den Hinweis enthielt „Einige Songs dieses Produktes wurden neu eingespielt …“, helfe nicht ab. Das erzeugte Missverständnis könne nicht ausgeräumt werden. Somit erhalte der Käufer also gerade nicht die Stücke, die er entsprechend der Werbung und Produktaufmachung erwarte.
Dieser Ansicht folgte nun auch das OLG Nürnberg.
Zu den Gründen führt das Gericht aus:
Die Werbung der Beklagten ist irreführend. (…) Vorliegend erwartet ein nicht unerheblicher Teil des angesprochenen Publikums, zu dem auch die Mitglieder des Senats gehören, dass ihm bei einer mit „Number 1 Hits“ beschriebenen CD-Box auch die damals in einer der Hitlisten befindliche (Original-) Versionen verkauft werden. Es wird also der Musiktitel erwartet, der für eine gewisse Zeit in den Hitlisten an erster Stelle rangierte. Es genügt somit nicht, wenn lediglich Melodie, Text und Interpret (Letzterer auch nur teilweise) übereinstimmen. Denn die Wertschätzung eines Stückes beruht – wenn es als „Number 1 Hit“ beworben wird – gerade darauf, dass es sich um die Version handelt, die in den jeweiligen Hitparaden zu einer bestimmten Zeit als Nummer 1 geführt wurde. Aus den von beiden Parteien vorgelegten Original-CD-Boxen ergibt sich nach dem Öffnen derselben, dass dies gerade nicht der Fall war. Wie sich aus den für den Verbraucher von außen zunächst nicht erkennbaren Erläuterungen auf den Rückseiten der jeweiligen CD ergibt, sind mehr als 213 der Titel nicht in der Version enthalten, die in den Hitlisten waren. Es handelt sich vielmehr um Re-Recordings und Liveaufnahmen. Nachdem Re-Recordings – wie der Name schon sagt – nachträglich aufgenommen werden und auch Liveaufnahmen in der Regel nicht die in den Hitlisten notierte Version eines Titels darstellen, ist bei beiden eine Abweichung vom „Original“ gegeben. Darin liegt – wenn keine ausreichende Aufklärung des Verbrauchers erfolgt – eine Irreführung. Allein die Tatsache, dass die streitgegenständliche CD-Box 100 Titel enthält, die für lediglich 4,99 Euro verkauft wurden, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn der Preis von 4,99 Euro fällt nicht dermaßen nach unten aus dem Rahmen, dass die angesprochenen Verkehrskreise davon ausgehen, dass es sich nicht um die Aufnahmen handelt, die tatsächlich zu irgendeiner Zeit in den Hitparaden waren. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil gerade im Discountbereich bei Verkauf von Massenartikeln sogenannte „Schnäppchen“ durchaus üblich sind. Auch wurden gerade nicht die aktuelle Hits des Jahres 2009 angeboten. Deshalb war ein Preisvergleich mit aktuellen Titeln nicht erforderlich und wurde vom Verbraucher auch nicht vorgenommen. Nachdem in der Internetwerbung unstreitig keinerlei Hinweis auf die Tatsache, dass es sich in der überwiegenden Zahl der Titel um Re-Recordings und Liveaufnahmen handelt, erfolgt, ist die Werbung ohne weiteres irreführend. (…) Der gelbe Aufkleber selbst ist zwar farblich abgehoben, nimmt aber nur einen geringen Teil des Covers ein. Bei dem Aufkleber selbst sticht zunächst das in großen Lettern Aufgedruckte ins Auge, nämlich die Bezeichnung „Original Artists“ und „Super Qualität“. Schon in kleineren Lettern erscheint unten die Textzeile „Teilweise Neuaufnahmen im verbesserten Sound“. Selbst wenn der durchschnittlich informierte verständige Verbraucher, der sich der CD-Box mit situationsadäquater Aufmerksamkeit zuwendet diese Hinweise noch wahrnimmt, wird er dadurch geradezu in seiner Annahme bestärkt, dass es sich um Originalaufnahmen der damaligen Hits handelt. Der im gelben Aufkleber im Innenkreis enthaltene Hinweis, dass es sich bei einigen Aufnahmen um Re-Recordings und Liveaufnahmen handelt, ist demgegenüber in deutlich geringerer Schriftgröße gehalten und nur für den Verbraucher, der keinerlei Sehschwäche hat, überhaupt noch lesbar. (…) Auch aus dem Preis von nur 4,99 Euro ergibt sich für den Verbraucher kein Anlass, den Text des gelben Aufklebers im Innenbereich näher zu lesen.
Kommentar:
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das OLG sieht vorliegend keine Erfüllung der Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 546 ZPO. So bedarf es nach Ansicht der Nürnberger Richter insbesondere keiner Klärung der Frage, was ein Hit sei, da vorliegend die Beklagte „Number 1 Hits“ also Hits, die die Hitparaden angeführt haben, beworben habe. Der Beklagten steht nun noch das Mittel der Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH zu. Es geht hier um typische Wertungsfragen, nämlich insbesondere darum, wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher die Aussage „100 Nummer 1 Hits“ wertet, ob er also – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles – davon ausgeht, die Originalaufnahmen zu kaufen.