Das Oberlandesgericht Hamm hat kürzlich mit Urteil vom 18.04.2010 (Az. 4 U 223/09) entschieden, dass eine hohe Anzahl an Abmahnungen kein zwingender Beweis für eine Rechtsmissbräuchlichkeit ist. Allerdings lässt das Verhältnis zwischen Abmahntätigkeit und Firmen-Umsatz auf eine solche schließen.

Zum Sachverhalt:

Das OLG Hamm beschäftigte sich der Frage, wann eine Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 8 Abs. 4 UWG bei Abmahnungen vorliegt. In diesem Zusammenhang prüfte es die wirtschaftlichen Verhältnisse und dabei besonders den Firmenumsatz einer Gebrauchtwagenhändlerin. Nach eigenen Angaben erwirtschaftete die Händlerin jährlich einen Gewinn von etwa 150.000 Euro, demgegenüber stünde lediglich ein Kostenrisiko aus den Abmahnungen iHv 90.000 Euro.

Nach Ansicht des Gerichts sei eine Rechtsmissbräuchlichkeit iSd § 8 Abs. 4 gegeben, wenn das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruches sachfremde Ziele sind.

So führt das Gericht in seinem Urteil weiter aus:

Diese (sachfremden Ziele) müssen zwar nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein, aber eindeutig überwiegen. Als typischen Beispielsfall eines sachfremden Motivs nennt das Gesetz ausdrücklich das Gebührenerzielungsinteresse. Dabei dient die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs vorwiegend dazu, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen. Von einem solchen Gebührenerzielungsinteresse ist auszugehen, wenn die konkreten Umstände des Einzelfalls aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Gläubiger kein nennenswertes wirtschaftliches oder wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend nur ein Gebühreninteresse verfolgt haben muss.

Diese Voraussetzung ergebe sich allerdings nicht allein aus einer hohen Anzahl an Abmahnungen, sondern könne sich auch aus einer hohen Anzahl an Wettbewerbsverstößen ergeben. Darüberhinaus müssten weitere hinzutreten, die die Missbräuchlichkeit der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs begründen können. Solch ein Umstand kann ein Missverhältnis zwischen der Zahl der Abmahnungen und dem Umfang des Geschäftsbetriebs ebenso sein wie die Art und Weise der Rechtsverfolgung (vgl. Senat, MMR 2009, 865). Kommen solche Umstände bei einem Mitbewerber mit vielfachen Abmahnungen zusammen, liegt ein Missbrauch der an sich bestehenden Klagebefugnis im Bereich des Internethandels, wo es bekanntermaßen im Rahmen der Erfüllung der bestehenden Informationspflichten zu einer kaum überschaubaren Vielzahl von Wettbewerbsverstößen kommt, besonders nahe. Das gilt insbesondere dann, wenn die Abmahntätigkeit so umfangreich ist, dass sie in keinem vernünftigen Verhältnis zu der gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden mehr steht. In einem solchen Fall hat sich die Abmahntätigkeit dann verselbständigt.

Weiter weist das Gericht auf einen für Abgemahnte interessanten Argumentationsansatz hin:

Insoweit ergibt sich etwas wie eine Wechselwirkung. Je größer die Zahl der Abmahnungen ist, umso eher ist das ein Indiz für ein missbräuchliches Verhalten (vgl. schon Köhler WRP 1992, 359, 361). In einem solchen Fall müssen dann umso weniger sonstige Umstände hinzukommen. Dagegen kann auch bei einer geringen Zahl von Abmahnungen oder im Extremfall auch schon bei einer einzigen Abmahnung auf einen Rechtsmissbrauch zu schließen sein, wenn ganz besonders gewichtige Umstände vorliegen, die auf sachfremde Motive schließen lassen.  

Auf den Fall übertragen führt das Gericht dann weiter aus:

Stark für ein besonderes Gebührenerzielungsinteresse spricht hier aber schon, dass die Zahl der Abmahnungen in einem begrenzten Zeitraum in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis mehr zu den geschäftlichen Verhältnissen und insbesondere dem Umsatz der Antragstellerin in Zusammenhang mit dem Vertrieb von Gebrauchtwagen steht.(…) Das allein durch die Abmahnwelle verursachte Kostenrisiko ist aber gerade auch im Verhältnis zum möglichen Gewinn in der fraglichen Zeit so hoch, dass damit ein erhebliches wirtschaftliches Problem für die Antragstellerin begründet wurde, das ein wirtschaftlich vernünftig denkender Wettbewerber kaum eingegangen wäre. Das gilt umso mehr, als die Antragstellerin schwerpunktmäßig gegen Wettbewerbsverstöße vorgegangen ist, die dem abgemahnten Mitbewerber der Antragstellerin gegenüber keinen besonderen Wettbewerbsvorteil verschaffen konnten.

Kommentar:

Das OLG Hamm hat sehr genau herausgearbeitet, unter welchen Umständen von einer rechtsmissbräuchlichen Massenabmahnung auszugehen ist. Dabei spielte auch hier wieder das Verhältnis zwischen dem Kostenrisiko der vielen Abmahnungen und dem Gewinn eine entscheidende Rolle. Besonders hervozuheben ist das Argument, wonach eine zeitlich begrenzte Abmahnwelle und die sich daraus ergebenden Kosten nicht dem Gewinn des Gesamtjahres gegenüberzustellen sind, sondern dem Gewinn in dem jeweiligen Zeitraum der Abmahnwelle. Dadurch kommt man natürlich viel eher zur Annahme eines wirtschaftlich völlig unvernünftigen und letztlich rechtsmissbräuchlichen Abmahnverhaltens. Außerdem differenziert das Gericht im Hinblick auf den geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch. Ein Verstoß gegen Gesetzesnormen, der nicht automatisch zu einem Wettbewerbsnachteil führt, soll eher für Rechtsmissbrauch sprechen als z. B. bei den Fällen einer wettbewerbsrechtlichen („sklavischen“) Nachahmung, also immer dort, wo die wirtschaftlichen Interessen des Abmahners direkt betroffen sind. Das halte ich für eine durchaus nachvollziehbare Argumentation. Denn sie lässt tatsächlich Rückschlüsse auf die Motivation (Gebühreninteresse) des Abmahners zu.