Rechtsnormen: §§ 8 Abs. 1, 3, 4 Nr. 2 UWG; § 175 SGB V

Mit Urteil vom 20.09.2012 (Az. I-4 U 85/12) hat das OLG Hamm entschieden, dass eine Krankenkasse ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten im Rahmen von Gewinnspielen von minderjährigen Verbrauchern ab 15 Jahren keine persönliche Daten zwecks Kundenwerbung erheben darf.

Zum Sachverhalt:

Die beklagte Krankenkasse nahm Mitte 2011 an einer Messe, die sich an Schüler richtet, teil. Währenddessen verteilte sie Teilnahmekarten für ein Gewinnspiel. Die Karten waren wie folgt bedruckt: Unter einem Foto mit vier jungen Personen steht die Angabe „Mitmachen und tolle Preise gewinnen.“. Direkt darüber steht in einem runden Feld „Bitte Rückseite ausfüllen und abgeben!“. Auf der Rückseite ist „Gewinnkarte“ in großer Schrift vermerkt. Darunter sind neuen Zeilen zur Nennung persönlicher Daten wie Name, Geburtsdatum, Anschrift und auch Krankenkasse zum Ausfüllen durch Teilnehmer vorgesehen. Etwas abgesetzt steht in kleiner Schrift zum „Datenschutzhinweis“: „Die Angaben sind freiwillig. Die Daten werden nicht an Dritte weitergegeben.“ In ebenso kleiner Schrift steht darunter „Ich bin damit einverstanden, dass die B N Daten (bzw. die Daten meiner Tochter/meines Sohnes) speichert und nutzt, um mich telefonisch, schriftlich, per E-Mail oder per SMS über die Vorteile einer B-Mitgliedschaft und neue Angebote der B zu informieren und zu beraten. Diese Einwilligung kann ich jederzeit mit Wirkung für die Zukunft bei der B widerrufen. N Daten werden dann gelöscht.“ Unten sind Felder zum Notieren des Datums und der Unterschrift. Kleingedruckt steht ein Hinweis zur Unterschrift, wonach „(bei unter 15-Jährigen Unterschrift des Erziehungsberechtigten)“ einzutragen sei.

Die Verbraucherzentrale erkannte in diesem Gewinnspiel eine unzulässige Werbung. Insbesondere verstoße die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Ausnutzung des Alters und der geschäftlichen Unerfahrenheit von Verbrauchern gegen § 4 Nr. 2 UWG. Die Beklagte vertritt demgegenüber die Auffassung, eine Datenerhebung von minderjährigen Verbrauchern im Rahmen eines Gewinnspiels sei nicht generell unzulässig. Es sei zu beachten, dass je nach Alter, Minderjährige unterschiedliche Entwicklungsstufen aufwiesen, ältere Minderjährige die Bedeutung der Erklärung durchaus einschätzen könnten. Bei dieser Wertung sei zu beachten, dass Minderjährige ab 15 Jahren gemäß § 175 Abs. 1 S. 3 SGB V auch bereits ihre Krankenkasse selber wählen könnten.

Das erstinstanzliche Landgericht Dortmund hatte die Klage abgewiesen. Das OLG Hamm als Berufungsinstanz änderte diese Entscheidung nun ab und untersagt der Krankenkasse eine derartige Werbung, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass Minderjährige ab dem 15. Lebensjahr grundsätzlich die nötige Reife haben, um die Tragweite der Einwilligungserklärung zur Datenspeicherung und Datenverwendung zu Werbezwecken abzuschätzen. Wenn Kinder und Jugendliche gegen ein „Entgelt“ – wie der Teilnahme an einem Gewinnspiel – zur Überlassung ihrer persönlichen Daten aufgefordert werden, sei regelmäßig eine Ausnutzung ihrer geschäftlichen Unerfahrenheit anzunehmen.

Weiter führt das Gericht zur Begründung aus:

„Geschäftliche Unerfahrenheit kann insbesondere bei Kindern und Jugendlichen vorliegen, was schon aus den Wertungen der §§ 104 – 115 BGB folgt. Allerdings sind Kinder und Jugendliche nicht generell der Gruppe geschäftlich unerfahrener Personen zuzuordnen, wie sich schon aus der Wertung des § 110 BGB ergibt. Vielmehr ist der mit dem Alter zunehmende Reifeprozess bei Minderjährigen zu berücksichtigen. Demgemäß sind altersbezogene Abstufungen hinsichtlich der geschäftlichen Unerfahrenheit vorzunehmen (Köhler/Bornkamm a.a.O. § 4 Rn 2.24). Sicherlich gibt es zahlreiche Minderjährige in der Altersstufe der 15 – 17-Jährigen, die die nötige Reife schon mitbringen, um die Tragweite der Einwilligungserklärung zur Datenspeicherung und Datenverwendung zu Werbezwecken abzusehen. Dabei ist aber zu beachten, dass auch innerhalb dieser Gruppe mit zunehmendem Alter im Schnitt auch die Reife zunimmt. Das bedeutet, dass in dem Kreis der 17-Jährigen die Anzahl derjenigen, die die nötige Reife mitbringen, wiederum deutlich höher ist als in dem Kreis der 15-Jährigen. Werden Kinder oder Jugendliche zur Überlassung ihrer Daten gegen ein „Entgelt“ (z.B. Teilnahme an einem Gewinnspiel oder Werbegeschenk) aufgefordert, ist allerdings in der Regel eine Ausnutzung ihrer geschäftlichen Unerfahrenheit anzunehmen (Köhler/Bornkamm a.a.O. Rn 2.41). Das ergibt sich daraus, dass Minderjährige aufgrund ihrer geringen Lebenserfahrung in der Regel weniger in der Lage sind, die vollständigen Auswirkungen der Preisgabe ihrer personenbezogenen Daten abzuschätzen. Dies gilt auch und insbesondere vor dem Hintergrund, dass dann, wenn sich die Maßnahme nicht nur an eine einzelne Person, sondern an eine bestimmte Personengruppe richtet, das Vorliegen geschäftlicher Unerfahrenheit in Bezug auf den Durchschnitt dieser Gruppe zu ermitteln ist. Denn in der Altersgruppe der 15-Jährigen oder auch 16-Jährigen gibt es zahlreiche Personen, die die Auswirkungen der Preisgabe ihrer personenbezogenen Daten nicht vollständig abschätzen können. In dieser Gruppe bilden diese Personen sogar die Mehrheit. Bei ihnen überwiegt beim Lesen der Gewinnkarte der Anreiz, möglicherweise etwas zu gewinnen, das konsequente Nachdenken darüber, was wohl infolge der Preisgabe der Daten passieren könnte. Es kann aufgrund der Unerfahrenheit in geschäftlichen E2 nicht angenommen werden, dass der Durchschnitt dieses Personenkreises bereits sensibilisiert ist für die Auswirkungen der Datenpreisgabe. Zutreffend ist, dass bei der Beurteilung auch die gesetzlichen Wertungen zu beachten sind. So ist der Gedanke der §§ 112 und 113 BGB zu sehen, wonach Minderjährige für bestimmte Geschäfte in bestimmten Situationen unbeschränkt geschäftsfähig sein können. Jedoch verhält es sich in diesen Konstellationen so, dass die gesetzlichen Vertreter (im Falle des § 112 BGB sogar mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts) den Minderjährigen zuvor ermächtigt haben, einen selbständigen Betrieb zu führen oder ein Arbeitsverhältnis einzugehen. Hier geht es darum, dass die Jugendlichen im Alter von 15 – 17 Jahren völlig allein handeln. Eine weitere gesetzliche Wertung ist in § 175 Abs. 1 S. 3 SGB V abzulesen. Nach dieser Vorschrift können Minderjährige ab 15 Jahren ihre Krankenkasse bereits selber auswählen. Jedoch trifft die Bewertung des Landgerichts, dass die Entscheidung zur Speicherung von Daten zum Zwecke der Zusendung von Werbung nicht über die Tragweite der Wahl einer Krankenkasse hinausgeht, nicht zu. Denn im Vorfeld der Entscheidung, nach der Schule einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz anzunehmen, wird der Minderjährige spätestens kurz vor Vertragsabschluss durch seine Eltern oder ggfls. durch den neuen Arbeitgeber mit dem Erfordernis vertraut gemacht, sich auch für eine Krankenkasse zu entscheiden. Das heißt, der Minderjährige kann sich  dann in Ruhe informieren und für eine Krankenkasse entscheiden.  Bei dem Gewinnspiel auf einer Messe betreffend die Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten hat der Minderjährige noch gar keinen konkreten Arbeitsplatz vor Augen. Hier geht es zunächst darum, diverse Möglichkeiten zu eruieren und vielleicht auch schon einmal einen Kontakt zu knüpfen. Jedenfalls richtet sich die Messe und auch die Beklagte – wie sie vorgetragen hat – an solche Jugendliche, die – als Schülerinnen und Schüler – kurz davor stehen, ihre Schulausbildung zu beenden und eine Ausbildung zu beginnen und damit auch ein Ausbildungsverhältnis zu begründen. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass heutzutage der Vorlauf bei Ausbildungsplätzen einen Zeitraum von bis zu einem Jahr ausmacht. Das bedeutet, dass der Entscheidungsprozess für die Eingehung eines Ausbildungsverhältnisses und damit auch für die Auswahl einer Krankenkasse eher längerfristig angelegt ist. Die Entscheidung, vor die der Jugendliche mit der Gewinnkarte auf der Messe gestellt wird, ist ganz kurzfristig. Er muss also die Vor- und Nachteile der Preisgabe seiner personenbezogenen Daten innerhalb einer kurzen Zeit beim Besuch der Messe abwägen. Für die Auswahl seines zukünftigen Arbeitsplatzes und der zukünftigen Krankenkasse und der dabei abzuwägenden Vor- und Nachteile kann er sich deutlich mehr Zeit lassen. Außerdem sind die Nachteile dahingehend, dass der Jugendliche mit Abgabe seiner Daten  zukünftig „auf allen Kanälen“, also per Post, per Handy, per Festnetz und per E-Mail, für die Beklagte erreichbar ist, für diesen in der Kürze der Entscheidungszeit nicht unbedingt sogleich erkennbar. Schließlich ist auch die Wertung des Gesetzgebers zu betrachten, wonach der Tatbestand der Nummer 2 (gemeint § 4 Nr. 2 UWG) „besonders schutzwürdige Verbraucherkreise, wie insbesondere Kinder und Jugendliche, aber auch … vor einer Ausnutzung ihrer Unerfahrenheit geschützt werden“ sollen. „Erfasst werden sollen auch Fälle im Vorfeld von konkreten Verkaufsförderungsmaßnahmen, so etwa, wenn Daten von Kindern oder Jugendlichen zu Werbezwecken erhoben werden.“ (vgl. BT-Drucks. 15/1487, S. 17). Diese Ausführungen des Gesetzgebers sprechen auch dafür, dass er nicht nur die Schutzwürdigkeit bei Kindern, sondern auch bei Jugendlichen, zu denen nun einmal auch die Personen im Alter von 15 – 17 gehören, sieht.“

Kommentar: Eine der wenigen bekannten Gerichtentscheidungen zu der Frage, ob Datenschutzrechtsverletzungen auch wettbewerbswidrig sind.