Rechtsnormen: §§ 51 Abs. 1, 68 Abs. 1 GKG

Mit Beschluss vom 10.05.2011 (Az. I-2 W 15/11) hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass eine zu niedrige Streitwertansetzung als versuchter Betrug zulasten der Staatskasse gewertet werden kann, wenn die anwaltliche Tätigkeit nach Stundenhonorar abgerechnet wird. Das Gericht behauptet, Anwälte setzten den Streitwert bewusst niedrig an, um sich die „eingesparten“ Gerichtskosten als zusätzliches Honorar von ihren Mandaten bezahlen zu lassen.

Zum Sachverhalt:

In einer Patentstreitigkeit hatte die Klägerin gegen die Beklagte auf Unterlassung geklagt. Die Klägerin hatte in ihrer Klageschrift den Streitwert mit 5 Millionen Euro angegeben. Das LG Düsseldorf setzte den Streitwert demgegenüber auf 30 Millionen Euro fest. Die Klägerin legte daraufhin Beschwerde gegen den Streitwertfestsetzungsbeschluss beim OLG Düsseldorf gemäß § 68 GKG ein und forderte eine neue Festsetzung auf 11,5 Millionen Euro.

Gemäß § 51 Abs. 1 GKG ist der Verfahrensstreitwert vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen. Maßgeblich ist hierbei das wirtschaftliche Interesse, das der Kläger mit seiner Klage objektiv verfolgt.

In diesem Zusammenhang ist bei einer Unterlassungsklage zu prüfen, mit welchen Nachteilen der Kläger bei einer Fortsetzung des beanstandeten (patent-)verletzenden Verhaltens rechnen muss. Bei einer Patentverletzungsklage sind insbesondere die Restlaufzeit des Patents sowie die (Jahres-) Umsätze des Klägers durch das Patent von Interesse. Zudem sind neben Marktstellung und Größe des Klägers auch die Art und das Ausmaß der Verletzungshandlung sowie eine mögliche Wiederholungsgefahr zu berücksichtigen. Wenn mit der Unterlassungsklage auch Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden, sind diese überschlägig zum Streitwert des Unterlassungsbegehrens hinzuzurechnen.

Das Düsseldorfer Landgericht legte unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze den Streitwert nicht wie in der Klageschrift ausgewiesen auf 5 Millionen, sondern auf 30 Millionen Euro fest.

Das OLG Düsseldorf überprüfte die Streitwertfestsetzung und kam nun zum Ergebnis, dass diese durch die Vorinstanz fehlerfrei erfolgte.

Zudem führt das Gericht aus:

„Nach den Erfahrungen des Senats stellt es eine nicht nur gelegentliche, sondern mittlerweile beinahe regelmäßige Praxis dar, dass, solange der Prozesserfolg und damit die letztlich kostenpflichtige Partei noch nicht sicher abzusehen sind, beide Parteien im einträchtigen Zusammenwirken mit einer zu niedrigen Streitwertangabe prozessieren, um Gerichtskosten „zu sparen“. Ihre Ursache hat diese Erscheinung in der Tatsache, dass die Parteivertreter (jedenfalls in größeren Verfahren) ihre eigenen Anwaltsgebühren nicht mehr streitwertabhängig, sondern nach Stundensätzen und Stundenaufwand abrechnen. Anders als früher berührt eine unangemessen niedrige Streitwertfestsetzung deswegen nicht mehr den eigenen Honoraranspruch des Anwalts, der die zu niedrige Streitwertangabe macht oder hinnimmt, sondern sie wirkt sich einseitig nur noch zu Lasten der Landeskasse aus. Aus verschiedenen Äußerungen von Anwälten weiß der Senat, dass die zu niedrige Streitwertangabe in solchen Fällen nicht versehentlich erfolgt, sondern in der direkten Absicht, durch die mittels der betragsmäßig untersetzten Streitwertangabe „eingesparten“ Gerichtsgebühren weiteren Spielraum für die Abrechnung zusätzlichen eigenen Honorars zu gewinnen.

Es liegt auf der Hand, dass eine solche bewusste Vorenthaltung von der Landeskasse zustehenden Gerichtsgebühren nicht hingenommen werden kann und auf sie mit einer der Sachlage angemessenen Anhebung des Streitwertes reagiert werden muss. Nicht selten versuchen die Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten freilich, dieses Vorhaben dadurch zu torpedieren, dass dem Gericht diejenigen Daten (Verkaufspreise, Umsatzzahlen, Marktanteile) vorenthalten werden, auf die es mangels eigener Kenntnis für eine Bemessung des tatsächlichen Rechtsverfolgungsinteresses angewiesen ist. Der in diesem Zusammenhang gerne bemühte Hinweis, keine genaue Kenntnis über die maßgeblichen Geschäftsdaten zu haben und deshalb bedauerlicherweise bei der Aufklärung der Bemessungsfaktoren für den Streitwert keine Hilfe leisten zu können, ist in aller Regel bloß vorgeschoben. Am Markt tätige Unternehmen wissen selbstverständlich um die Marktpräsenz ihres Prozessgegners. Es bedarf keiner Erläuterung, dass vor diesem Verhalten nicht kapituliert werden darf, weswegen es nicht nur zulässig, sondern im Interesse der gebotenen Durchsetzung des der Landeskasse zustehenden Gebührenanspruchs geradezu notwendig ist, dem in geeigneter Weise zu begegnen. Dies kann dadurch geschehen, dass in Fällen, in denen die Parteien ihre Mitwirkung an einer sachgerechten Streitwertfestsetzung verweigern, vom Gericht ein Streitwert geschätzt wird, der so hoch ist, dass er die Parteien zuverlässig motiviert, z.B. im Rahmen eines Antrages auf Streitwertkorrektur ihrer Mitwirkungspflicht wahrheitsgemäß nachzukommen.

(…) Aufgrund der vorstehenden Darlegungen besteht gegenüber der Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten der Verdacht eines versuchten Betruges zu Lasten der Landeskasse. Bevor der Senat weitere straf- und berufsrechtliche Maßnahmen in Erwägung zieht, erhalten die Klägerin und ihre Anwälte rechtliches Gehör.“

Kommentar:

Obige harsche Worte des OLG Düsseldorf gegen die (patentrechtrechtliche) Anwaltschaft sind bisher beispiellos. Die Düsseldorfer Richter unterstellen mit ihren Äußerungen Anwälten planmäßigen Betrug zulasten des Staates, um die „eingesparten“ Gerichtskosten später als zusätzliches Honorar gegenüber ihren Mandanten abrechnen zu können.

Diese deutlichen Worte des Gerichts hinsichtlich eines möglichen Betruges durch Anwälte überraschen nicht nur, sie halten einer rechtlichen Überprüfung wohl auch nicht stand. So erläutert das Gericht bspw. nicht, worin denn die Vermögensverfügung des Getäuschten liegen soll. Evtl. könnte diese in der zu geringen Streitwertansetzung liegen. Aber dies wäre doch mehr als zweifelhaft, da zu keiner Zeit direkt über Staatsvermögen verfügt wird. Die in der Sache völlig falsche anwaltliche Handlung verhindert lediglich, dass der Staat einen (berechtigten) Anspruch auf Gerichtskosten begründet.

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) weist den Generalverdacht des OLG Düsseldorf gegen die Anwaltschaft „entschieden zurück“.