Rechtsnormen: §§ 4 Nr. 11, 5 Abs. 1 Nr. 3 UWG; §§ 6 Abs. 1, 8 S. 1 BORA

Mit Urteil vom 17.11.2011 (Az.  13 U 168/11) hat das OLG Celle entschieden, dass die Bezeichnung „Kanzlei-Niedersachsen” für eine Anwaltskanzlei zulässig ist, da sie rein geographisch und weder unsachlich ist noch eine Alleinstellungsbehauptung darstellt.

Zum Sachverhalt:

Ein mit einer Mediatorin in Bürogemeinschaft zusammenarbeitender Rechtsanwalt bewirbt seine Kanzlei unter der Bezeichnung „Kanzlei Niedersachsen“. Mitbewerber erkannten darin einen Verstoß gegen das Berufs- und Wettbewerbsrecht und nahmen den Anwalt auf Unterlassung in Anspruch.

Nachdem das erstinstanzliche LG Hannover (Urt. v. 21.06.2011, Az. 18 O 141/11) die Klage abgewiesen hatte, bestätigte diese Entscheidung das OLG Celle.

Nach Ansicht des Gerichts verstößt die zusatzfreie Bezeichnung „Kanzlei-Niedersachsen“ nicht gegen § 6 Abs. 1 der Berufsordnung für Rechtsanwälte, wonach ein Rechtsanwalt über seine Dienstleistung und seine Person informieren darf, soweit die Angaben sachlich unterrichten und berufsbezogen sind.

Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass ein Rechtssuchender unter dem Begriff „Kanzlei Niedersachsen“ ausschließlich eine rein geographische Bezeichnung verstehe. Insbesondere werde auch keine Assoziation zu der hoheitlich agierenden „Staatskanzlei Niedersachsen“ geweckt. Lediglich in Verbindung mit dem Vorwort „Staats-“ verbinde der Verbraucher den Begriff „Kanzlei“ mit einer hoheitlichen Tätigkeit. Verstanden werde der Begriff „Kanzlei“ vielmehr als Sitz eines Rechtsanwalts. Unter dem Begriff „Niedersachsen“ verstehe der Rechtssuchende eine Regionalbezeichnung – ohne dabei an hoheitliche Zusammenhänge zu denken. Da dem Verbraucher sehr wohl bewusst sei, dass es auch in Niedersachsen viele Rechtsanwälte gebe, lasse sich aus der angegriffenen Bezeichnung auch nicht schließen, dem Anwalt komme eine herausgehobene Stellung zu. Der Verkehr schließe aus der Bezeichnung vorrangig auf das Haupttätigkeitsgebiet bzw. den Haupteinzugsbereich des Anwalts.

Im Einzelnen führt das Gericht aus:

„a) Der Kläger kann sein Unterlassungsbegehren nicht auf § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 6 BORA stützen.

Zwar stellt § 6 BORA eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG dar, da der Norm eine auf die Lauterkeit des Wettbewerbs bezogene Schutzfunktion zukommt (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 28.5.2010, 3 U 318/10, zitiert nach juris, Rn. 27, 28 mit Hinweis auf BGH GRUR 2005, 520 f.). Nach § 6 BORA hat die dem Rechtsanwalt erlaubte Werbung sachlich und berufsbezogen zu sein. Jedoch verstößt die zusatzfreie Bezeichnung „Kanzlei-Niedersachsen“ nicht gegen dieses in § 6 BORA enthaltene Sachlichkeitsgebot. Der angesprochene Verbraucher versteht die Bezeichnung nämlich als rein geografische. Referenzverbraucher ist insofern nach ständiger Rechtsprechung der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Adressat der Werbung, der ihr die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt (vgl. OLG Nürnberg, a. a. O., Rn. 31 m. w. N.). Dies ist vorliegend jedermann, mithin auch die Mitglieder des Senats. Davon ausgehend teilt der Senat nicht die Ansicht des Klägers, dass der Begriff „Kanzlei-Niedersachsen“ eine Assoziation zu der „hoheitlich agierenden Staatskanzlei Niedersachsen“ hervorrufe. Abgesehen davon, dass die Staatskanzlei nicht „Staatskanzlei Niedersachsen“, sondern „Niedersächsische Staatskanzlei“ heißt, verbindet der angesprochene Verbraucher gerade und nur das im vorliegenden Fall nicht vorhandene „Staats-“ mit hoheitlicher Tätigkeit, während er unter „Kanzlei“ üblicherweise lediglich den Sitz von Rechtsanwälten oder Steuerberatern versteht. Auch in der Kombination mit der Landesbezeichnung „Niedersachsen“ ändert sich dieses Verbraucherverständnis nicht. „Niedersachsen“ ist vorrangig eine Regionalbezeichnung, die vom Verbraucher in unterschiedlichsten, nichthoheitlichen Zusammenhängen wahrgenommen wird (z. B. Tourismusland Niedersachsen, Flächenland Niedersachsen, Agrarland Niedersachsen usw.). Die Angaben „Kanzlei“ und „Niedersachsen“ sind auch nicht etwa wegen Unwahrheit unsachlich, da der Beklagte eine Rechtsanwaltskanzlei betreibt und diese in Niedersachsen liegt. Die Angaben sind mithin wahr.

b) Es besteht auch kein Unterlassungsanspruch nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UWG. Die Verwendung der Bezeichnung „Kanzlei-Niedersachsen“ stellt sich aus Sicht des Verbrauchers nicht als Alleinstellungs- bzw. Spitzenstellungswerbung dar.

Dies wäre der Fall, wenn die Bezeichnung in irreführender Weise suggerierte, dass dem Beklagten in seiner beruflichen Tätigkeit eine besonders herausgehobene Stellung zukomme. Dies indes ist im Hinblick auf das oben (a, bb, (2)) ausgeführte Verbraucherverständnis nicht der Fall. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung. (…) Dem Verkehr sei nämlich bekannt, dass es in großen Städten eine Fülle von Rechtsanwaltskanzleien gebe. Von daher messe der Verkehr der Anführung des Ortsnamens nur die Bedeutung der Angabe des Sitzes der Kanzlei zu (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 19.6.2008, 4 U 63/08, zitiert nach juris, Rn. 30). Das Oberlandesgericht Hamm hat damit die Domain „anwaltskanzlei-(xxx = Ortsname).de“ für zulässig erklärt. Auch das Oberlandesgericht München hat in einem – wenn auch zum Irreführungsverbot im Sinne des § 18 HGB ergangenen – Beschluss (vom 28.4.2010, 31 Wx 117/09, zitiert nach juris) ausgeführt, dass mittlerweile in der Rechtsprechung nicht mehr davon ausgegangen werde, dass die Verwendung eines Ortsnamens mehr als einen Hinweis auf den Sitz (Ort oder Region) oder das Haupttätigkeitsgebiet einer Firma beinhalte (vgl. OLG München, a. a. O., Rn. 18). Weder bestehe eine Vermutung noch ein Erfahrungssatz für eine führende oder besondere Stellung des Unternehmens in dem in der Firma genannten Ort oder Gebiet (vgl. OLG München, a. a. O., Rn. 17). Dieser – neueren – Rechtsprechung ist bereits deswegen der Vorzug zu geben, weil sie im Einklang mit einer ebenfalls neueren Entscheidung des Bundesgerichtshofs steht (vgl. BGH, Urteil vom 01.09.2010, StbSt (R) 2/10, zitiert nach juris). Der Bundesgerichtshof hat darin die Verwendung der Internet-Domain „steuerberater-suedniedersachsen.de“ auf Verstöße gegen Werbeverbote aus dem Steuerberatergesetz untersucht und solche im Ergebnis verneint. Insbesondere sah er den Verbraucher weder irregeführt (a. a. O., Rn 5) noch eine Sonder- oder Spitzenstellungswerbung als gegeben an (a. a. O., Rn. 6 und 7). Die Entscheidung ist – entgegen der Auffassung des Klägers – auf den vorliegenden Fall übertragbar. Auch wenn dort die Verwendung einer Internet-Domain zu bewerten war, stellten sich dieselben Fragen nach der wettbewerbs- und berufsrechtlichen Zulässigkeit einer Verwendung von Orts- oder Regionsbezeichnungen. Danach ist davon auszugehen, dass der angesprochene Verbraucher ohne Weiteres in der Lage ist zu ermessen, dass es sich bei der Bezeichnung „Kanzlei-Niedersachsen“ lediglich um eine anpreisende Darstellung zur Kennzeichnung des Sitzlandes handelt. Er weiß zugleich, dass es in Niedersachsen eine große Anzahl von Rechtsanwaltskanzleien gibt und misst der Angabe des Bundeslandes in der Bezeichnung daher nur im Hinblick auf den Sitz und den wesentlichen Tätigkeitsbereich der Kanzlei Bedeutung bei. Die (Fehl-)Vorstellung einer herausragenden Stellung hat er schon deswegen nicht, weil die Bezeichnung keinen bestimmten Artikel enthält (wie: „Die Kanzlei-Niedersachsen“). Der verständige Verbraucher verbindet damit auch nicht gleichsam automatisch die unzutreffende Vorstellung, dass dieser Kanzlei niedersachsenweit mehrere Rechtsanwälte angehören müssen.

c) Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Beklagte mit der Verwendung der streitgegenständlichen Bezeichnung gegen § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 8 BORA verstoße.

aa) Zwar stellt auch § 8 BORA eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG dar (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 29.Aufl., § 4 UWG, Rn. 11.85; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.1.2008, 2 U 91/07, zitiert nach juris, Rn. 28). Nach § 8 Satz 1 BORA darf auf eine berufliche Zusammenarbeit nur hingewiesen werden, wenn sie in einer Sozietät, in sonstiger Weise (Anstellungsverhältnis, freie Mitarbeit) mit sozietätsfähigen Personen im Sinne des § 59 a Bundesrechtsanwaltsordnung oder in einer auf Dauer angelegten und durch tatsächliche Ausübung verfestigten Kooperation erfolgt.

bb) Jedoch fehlt es hinsichtlich dieses erst in der Berufung geltend gemachten Streitgegenstands bereits an der Dringlichkeit. Dem Kläger ist die Verwendung der streitgegenständlichen Bezeichnung nach eigenem Vorbringen bereits in der 18. Kalenderwoche 2011 bekannt geworden; einen Verstoß gegen § 8 BORA hat er indes erst mit der Berufung geltend gemacht. Durch dieses Zuwarten hat er die tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit aus § 12 Abs. 2 UWG für diesen Streitgegenstand selbst widerlegt (vgl. Köhler, a. a. O., § 12 UWG, Rn. 3.15)“