Rechtsnormen: §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB; Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1, 5 Abs. 1 GG

Mit Urteil vom 18.07.2012 (Az. 7 O 525/10) hat das Landgericht Tübingen entschieden, dass in der freien Internet-Enzyklopädie Wikipedia über die Mitgliedschaft eines Professors in einer katholischen Studentenverbindung berichtet werden darf. Dem Professor steht kein Unterlassungsanspruch wegen einer etwaigen Persönlichkeitsrechtsverletzung zu.

Zum Sachverhalt:

Streitgegenstand ist ein Wikipedia-Artikel über einen außerplanmäßigen Professor an der Uni Tübingen. Unter anderem wird in dem Artikel auf die Mitgliedschaft des Professors in einer katholischen Studentenverbindung hingewiesen und auf seine Schriften Bezug genommen. Er stimmte der Veröffentlichung des Beitrages nicht zu und forderte Wikipedia auf, den Beitrag zu entfernen und eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, woraufhin Wikipedia nicht reagierte. Der Professor ist der Ansicht, er werde durch den Eintrag über seine Person auf der Internetseite in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt, weswegen ihm ein Unterlassungsanspruch gegen Wikipedia zustehe. Diesen Anspruch versuchte er vor dem Landgericht Tübingen gerichtlich durchzusetzen.

Das LG Tübingen wies die Klage aber ab.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Die Klage ist nicht schlüssig. Der Vortrag des Klägers erfüllt nicht die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten.

1. Dem Kläger steht kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte gemäß §§ 823 I, 1004 I 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 1,2 I GG zu. (…) Der Kläger ist nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I, 1 I GG verletzt. (…) Der Eingriff ist jedoch nicht widerrechtlich.

Aufgrund der tatbestandlichen Weite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Eigenart als Rahmenrecht liegt die Reichweite nicht absolut fest, sondern muss durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen bestimmt werden. Hierbei sind die besonderen Umstände des Einzelfalles sowie die Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtiqen, welche sich grundsätzlich gleichrangig gegenüberstehen. Ein Eingriff ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt. (…) Bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen verdient das Interesse der Beklagten den Vorzug.

Dies ergibt sich zunächst daraus, dass beim Kläger ein Persönlichkeitsschaden hinsichtlich seines sich aus Art. 2 I, 1 I GG und Art. 8 I EMRK ergebenden allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht festgestellt werden kann. Weder entfaltet der abrufbereite Eintrag über den Kläger eine erhebliche Breitenwirkung, noch ist er Anknüpfungspunkt, um den Kläger sozial auszugrenzen oder zu isolieren. Dies gilt sowohl bezüglich seiner persönlichen Daten wie Beruf oder Lebenslauf als auch hinsichtlich der Mitgliedschaft in katholischen Studentenverbindungen. Der Inhalt des Eintrages besteht zwar aus persönlichen Inhalten, es werden jedoch lediglich bestimmte zutreffende Stationen oder Vorgänge im Leben des Klägers beschrieben. Die Inhalte sind ferner zwar abrufbereit im Internet verfügbar, allerdings werden diese nur dann zur Kenntnis genommen, wenn sich ein Nutzer aktiv informieren möchte. Anders als beispielsweise bei einer Zeitungsveröffentlichung ist hier nicht von einer breiten Ausstrahlungswirkung des Beitrages auszugehen, mit welchem potentiell die gesamte Bevölkerung informiert werden soll, sondern hier beschränkt sich die Kenntnisnahme auf Personen, welche den Kläger kennen und sich über ihn informieren möchten. Zudem bestehen keine Anhaltspunkte, dass der Kläger durch den Beitrag sozial ausgegrenzt oder isoliert zu werden droht.

Aufseiten der Beklagten ist ferner zu berücksichtigen, dass es sich bei Wikipedia um eine weltweite freie Online-Enzyklopädie handelt, welche allein in der deutschsprachigen Version über 300000 Beiträge bereithält. Insofern besteht ein erhebliches öffentliches Interesse nach Art. 5 I 1 2. Alt. GG, 10 I 1 EMRK an den von der Beklagten bereitgehaltenen Einträgen, um sich umfassend informieren zu können. Vor allem auch die Personen, welche über keine geschriebene Enzyklopädie verfügen, haben ein beachtliches Interesse sich über die Internetseite der Beklagten Informationen zu verschaffen.

Weiterhin kann die Beklagte die Pressefreiheit aus Art. 5 I 2 1. Alt. GG für sich in Anspruch nehmen. Diese schützt grundsätzlich die Verbreitung von Informationen, wobei unter anderem auch das Recht eingeräumt wird, wahre Tatsachen zu publizieren. Mit dieser Gewährleistung korrespondiert insbesondere das Interesse der Öffentlichkeit an einer ausreichenden Versorgung mit Informationen. Zudem kommt diesen beiden Rechten schon aufgrund ihres Charakters als demokratische Grundrechte ein hoher Stellenwert zu, sodass gewichtige Gründe erforderlich sind, welche ein Überwiegen eines kollidierenden Rechtsgutes rechtfertigen.

Jedenfalls aber muss beachtet werden, dass es sich bei den Einträgen jeweils um wahre Tatsachen handelt und der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers nur als sehr gering zu qualifizieren ist. Er ist lediglich der Sozialsphäre zuzuordnen, denn hier ist nur der Bereich des menschlichen Lebens betroffen, in dem sich der Betroffenen als Teil einer sozialen Gesellschaft zeigt und wahrgenommen wird. Äußerungen, welche diese Sphäre betreffen, sind jedoch grundsätzlich hinzunehmen, denn das Persönlichkeitsrecht verleiht seinem Träger keinen Anspruch darauf, nur so in der Öffentlichkeit dargestellt zu werden, wie es ihm genehm ist. Zu den hinzunehmenden Folgen gehören auch solche Beeinträchtigungen des Einzelnen, die sich aus nachteiligen Reaktionen Dritter auf die Offenlegung der wahren Tatsachen ergeben (BVerfG, NJW 2011, 47; BVerfG NJW 1998, 2889).

Ferner ist es mittlerweile durchaus üblich, dass Lebensläufe und persönliche Daten von Personen veröffentlicht werden, an welchen ein Interesse der Öffentlichkeit besteht. Insofern weisen viele Internetseiten beispielsweise von Kanzleien die Lebensläufe und persönlichen Daten ihrer Mitarbeiter auf. Dies ist auch bei universitären Internetauftritten gewöhnlich, sodass viele Lehrbeauftragte – wie auch der Kläger – bereits selbst ihre Lebensläufe und sonstige persönliche Daten der Öffentlichkeit zugänglich machen. Hinzu kommt, dass zumindest eine Studentenverbindung die Mitgliedschaft des Klägers im Internet dargestelit hat. Diese Veröffentlichungen – mit Text und Bild – wurden von dem Kläger bis zur mündlichen Verhandlung nicht beanstandet.

Dass die Relevanzkriterien der Beklagten für die Berichterstattung über lebende Personen vorliegend bezüglich des Klägers möglicherweise nicht erfüllt sind, ändert an der vorzunehmenden Abwägung nichts. Soweit eine über diese Kriterien hinausgehende Veröffentlichung erfolgt, lässt sich daraus keine Verletzung von Rechten der betroffenen Personen herleiten. Die Abwägung der Rechte der Beteiligten hat gleichwohl nach den oben dargelegten Grundsätzen zu erfolgen.

Ob die Beklagte auch als Störerin in Anspruch genommen werden kann, kann deshalb dahinstehen.“

Kommentar:

Das Gericht kommt vorliegend zum Ergebnis, dass zwar ein erhebliches öffentliches Interesse an den von Wikipedia bereitgehaltenen Artikeln bestehe, diese allerdings nur dann zur Kenntnis genommen werden, wenn sich ein Nutzer aktiv über etwas informieren wolle. Die gerügten Einträge stellen keine unwahren Tatsachenbehauptungen und auch keine Schmähkritik dar. Zu der Frage von Persönlichkeitsverletzungen im Internet hat sich auch bereits der EuGH geäußert. Er kam zu dem Ergebnis, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet besonders schwer wiegen (EuGH, Urt. v. 25.10.2011 – Az. C-509/09 / C-161/10). Zu dieser Entscheidung habe ich einen Blog-Beitrag veröffentlicht, der hier abrufbar ist.