Das Landgericht Potsdam (Urteil vom 27. September 2017 – 6 S 80/16) hat entschieden, dass ein Urteil des Amtsgerichts Potsdam (Urteil vom 18. Oktober 2016 – 29 C 122/16) rechtmäßig ist, wonach eine Beitragserhöhung bei einer privaten Krankenversicherung unwirksam ist. Dies wurde damit begründet, dass die notwendige Unabhängigkeit des die Beitragserhöhung prüfenden Treuhänders nicht gegeben gewesen sei. Das Gesetz nennt in § 203 Abs. 2 S.1 VVG als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Prämienanpassung, dass „ein unabhängiger Treuhänder“ zugestimmt hat. Die Frage der Unabhängigkeit des Treuhänders sei für die Zivilgerichte auch überprüfbar. Das Gesetz gibt dabei keine konkreten Vorgaben, wann und unter welchen Voraussetzungen diese Unabhängigkeit gegeben ist. Das Landgericht Potsdam führt dazu aus:

Die Kammer folgt der auch vom Landgericht Nürnberg-Fürth (a.a.O.) wie auch vorliegend vom Amtsgericht Potsdam vertretenen Ansicht, dass mangels einer konkreten Definition der Unabhängigkeit des Treuhänders die Anforderungen nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu bestimmen sind. Damit kommt, wie auch von der Beklagten eingewandt, eine (ausschließliche) entsprechende Anwendung des § 319 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 HGB nicht in Betracht. Vielmehr ist eine Gesamtwürdigung erforderlich, ob bei objektiv-generalisierender, verständiger Würdigung das Vertrauen gerechtfertigt ist, der Treuhänder werde die Interessen der Gesamtheit der Versicherungsnehmer angemessen wahrnehmen (vgl. BGH a.a.O.).

 Mangelnde Unabhängigkeit des Treuhänders

Ausgangspunkt ist der Anteil an den Gesamtvergütungen des Treuhänders, den die Vergütung durch den jeweiligen Auftraggeber ausmacht. Dabei orientiert sich das Gericht an dem Maßstab des oben genannten § 319 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 HGB. Auf den konkreten Fall bezogen macht das Gericht folgende Ausführungen:

Nach Ansicht der Kammer ergibt sich bei der objektiv-generalisierenden, verständigen Gesamtwürdigung die fehlende Unabhängigkeit des Treuhänders K. aus dem Umfang seiner von der Beklagten bezogenen Vergütung, dem Umstand, dass er für die Beklagte über einen Zeitraum von über 15 Jahren tätig war und hierbei alle Prämienanpassungen der Beklagten geprüft hat, aber auch von einem mit der Beklagten verbundenen Unternehmen ein Ruhegehalt bezog. Auch wenn der letztgenannte Gesichtspunkt nach Ansicht der Kammer von untergeordneter Bedeutung ist, trägt er bei der erforderlichen objektiven Betrachtung dazu bei, dass in einer Gesamtschau der Versicherungsnehmer nicht auf die Unabhängigkeit des Treuhänders K. vertrauen konnte. Hieran ändern auch die von der Beklagten vorgetragenen und von der Kammer berücksichtigten Gesichtspunkte nichts Entscheidendes.

Der Treuhänder hatte in fast allen Jahren durch der Versicherer einen Einkommensanteil (Rechnungsstellung) von deutlich über 30 %. Dies ergibt sich aus dem Urteil:

Jahr Einkünfte
gesamt
Rechnungen
an die Beklagte
Anteil
2007 213.480 € 79,718,10 € 37 %
2008 190.382 € 92.463,00 € 48 %
2009 234.182 € 22.290,80 € 10 %
2010 223.386 € 113.990,10 € 51 %
2011 253.226 € 149.130,80 € 58 %
2012 211.666 € 106.129,20 € 50 %
2013 262.568 € 120.975,40 € 46 %

 

Dann geht das Gericht noch auf die lange Verbundenheit des Treuhänders mit dem Versicherer ein. Das Gericht führte aus zu im einzelnen wie folgt aus:

Unstreitig war Herr K. von 1996 bis zu seinem Tod im Oktober 2014 für die Beklagte tätig. Schon dieser lange Zeitraum kann nach Ansicht der Kammer bei objektiver und gleichwohl verständiger Betrachtung die Befürchtung begründen, dass sich eine Verbundenheit des Treuhänders mit der Beklagten entwickelt hat, die seiner Unabhängigkeit entgegen stand. Auch zum hier maßgeblichen Zeitpunkt in den Jahren 2011 und 2012 bestand die Zusammenarbeit bereits über 15 Jahre. Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten berücksichtigt, dass für 40 Krankenversicherungen nur 14 Treuhänder zur Verfügung stehen, lässt sich nicht begründen, warum zur Wahrung der Unabhängigkeit aus objektiver Sicht der Wechsel des Treuhänders nicht möglich sein sollte. Hierbei verhilft der Beklagten auch der Hinweis nicht weiter, dass der Treuhänder eingearbeitet ist und damit die Entwicklung des jeweiligen Tarifs kennt. Diese offensichtlich praktischen und wirtschaftlichen Erwägungen geschuldete Betrachtung vermag aus der langjährigen treuhänderischen Verbindung entstehende Bedenken gegen die Unabhängigkeit des Treuhänders nicht auszuräumen.

Es kommt dann immer wieder auf den Gesichtspunkt der Gesamtschau zurück. Danach ist nach Auffassung des Gerichts unter Berücksichtigung aller Umstände von der mangelnden Unabhängigkeit des Treuhänders auszugehen.

Keine Verjährung oder Verwirkung der Ansprüche

Letztlich prüft das Gericht noch die Frage der Verjährung oder Verwirkung der Ansprüche. Beides wird vom Gericht abgelehnt.

Ergebnis: Im Ergebnis hat der Versicherte damit einen Anspruch auf Rückzahlung der Beitragserhöhungen aufgrund ungerechtfertigter Bereicherung.

Revision beim BGH

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Versicherer hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Das Aktenzeichen des BGH lautet IV ZR 255/17

Wenn sich dieses Urteil bestätigen sollte, wird zumindest dieser Versicherer sich einer ganzen Welle von Rückzahlungsansprüchen auseinandersetzen müssen. Aber auch in anderen Fällen wird die Unabhängigkeit des Treuhänders für Beitragserhöhungen auf den Prüfstand zu stellen sein.

Die Kanzlei Dr. Thorsten Graf vertritt Versicherte bei den Rückforderungsansprüchen.

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