Ein krankgeschriebener Arbeitnehmer ist arbeitsvertraglich dazu verpflichtet, sich nicht genesungswidrig zu verhalten. Darf man während einer Krankschreibung dann an einem Marathonlauf teilnehmen? Über diese Frage hatte vor einiger Zeit das Arbeitsgericht Stuttgart zu entscheiden. Im dortigen Fall hatte der Arbeitnehmer eine Schulterverletzung. Er konsultierte den ihn behandelnden Arzt und fragte diesen, ob eine Teilnahme an zwei Marathonveranstaltungen (die Laufstrecke war sogar noch länger, nämlich 53 km und 50 km) aus gesundheitlichen Gründen unterbleiben müsse oder für ihn bedenkenlos möglich sei. Der Arzt gab insoweit „grünes Licht“. Es sei mit keinerlei Verzögerung des Heilungsverlaufs zu rechnen, der Arbeitnehmer solle die sportliche Betätigung allerdings einstellen, sobald er Schmerzen verspüre. Der Arbeitgeber erfuhr über die Teilnahme seines Mitarbeiters über die lokale Presse. Er kündigte daraufhin den Arbeitnehmer wegen genesungswidrigen Verhaltens.

Das Arbeitsgericht sah dies anders. Nach den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts haben Arbeitnehmer zwar alles zu unterlassen, was ihre Genesung verzögern „könnte“ bzw., der Arbeitnehmer dürfe den Heilungserfolg durch genesungswidriges Verhalten nicht „gefährden“. Anders als das Landesarbeitsgericht Hamm soll nach Auffassung der Stuttgarter Richter eine bloße Möglichkeit einer ungünstigen Auswirkung auf den Krankheitsverlauf jedoch nicht ausreichen. Notwendig wäre vielmehr eine konkrete Verletzung der Interessen des Arbeitgebers, welche der Arbeitgeber im Bestreitensfalle zu beweisen hat. Das Gericht stellt dann folgendes fest:

Diese Maßstäbe beachtend, liegt – mangels eines arbeitsvertraglichen Pflichtenverstoßes – ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB nicht vor. Der Kläger hat die Genesung nicht verzögert, was selbst die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte auch nicht behauptet. Es liegen auch keinerlei Umstände vor, die eine Verzögerung des Heilungsverlaufs vermuten lassen. Im Gegenteil erscheint bei einem Bruch des Schulterblattes eine Gesamtdauer der Arbeitsunfähigkeit vom 05.09.2006 bis 27.10.2006 als relativ kurz. Insofern liegt sogar der Schluss nahe, dass die ständige sportliche Betätigung des Klägers den schnellen Heilungsverlauf begünstigt hat.Auch lässt sich nicht feststellen – soweit man dies genügen ließe -, dass der Kläger mit der Teilnahme an den Marathonläufen die Genesung ernsthaft gefährdet hat. Dem steht schon die vorherige ärztliche Konsultation und die positive Einschätzung des behandelnden Arztes entgegen. Jedenfalls genügt ein Arbeitgeber seiner Darlegungslast im Kündigungsschutzprozess zur Frage der Gefährdung der Genesung nicht, wenn er – wie vorliegend – eine solche lediglich behauptet, obwohl eine die Gefährdung des Genesungsverlaufs ausschließende, ärztliche Stellungnahme des behandelnden Arztes, also eines mit dem Krankheitsbild und der Person des Arbeitnehmers vertrauten Mediziners, unstreitig vorliegt.Selbst ein genesungsgefährdendes Verhalten unterstellt, würde es vorliegend am Verschulden, welches zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung notwendig und für welches der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet ist ( vgl. HaKo-Griebeling, 2. Auflage 2004, § 626 BGB, Rndnr. 60; KR-Griebeling, § 1 KSchG, Rndnr. 401 ) fehlen, da der Kläger vor der Teilnahme an den Sportveranstaltungen ärztlichen Rat bei seinem behandelnden Arzt eingeholt und dieser keinerlei Bedenken gegen die Teilnahme an den Veranstaltungen hatte. Ein Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 BGB) ist dem Kläger damit nicht vorzuwerfen.

Praktischer Hinweis:

  1. Nicht alle Arbeitsgerichte werden der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts Stuttgarts folgen, wonach der Arbeitgeber eine konkrete Gefährdung des Genesungserfolgs nachweisen muss. Dennoch ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart eine wichtige Argumentationshilfe.
  2. Der krankgeschriebene Arbeitnehmer sollte sich immer durch seinen behandelnden Arzt schriftlich bestätigen lassen, dass die Teilnahme an einem Marathon, Triathlon oder anderen sportlichen Veranstaltung den Genesungserfolg nicht beeinträchtigen wird. Damit entfällt das so genannte Verschulden, dass immer Voraussetzung für das Bestehen einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung ist.

Resümee:

Die Arbeitsrichter haben eine sehr vernünftige Entscheidung getroffen. Der Arbeitnehmer hatte außerdem einen behandelnden Arzt, der wusste, dass körperliche Betätigung und Bewegung den Heilungserfolg eher fördern als ihn beeinträchtigen würde.

Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 22.07.2007, Az. 9 Ca 475/06