Rechtsnormen: § 97 Abs. 2 UrhG, § 19a UrhG

Mit Urteil vom 03.04.2012 (Az. 161 C 19021/11) hat das AG München entschieden, dass das Urheberrechtsgesetz nicht nur das Gesamtwerk schützt, sondern auch kleinste Teile davon. Im Falle eines Downloadangebots von Bruchstücken eines Werkes via Peer-to-Peer-Netzwerke (hier Auszüge aus Harry-Potter-Hörbüchern) macht sich ein unberechtigter Downloadanbieter wegen illegalen Filesharings schadensersatzpflichtig.

Zum Sachverhalt:

Mitte 2007 wurden über den Internetanschluss der Beklagten zu unterschiedlichen Zeitpunkten in einer Internet-Tauschbörse (Peer-to-Peer-Netzwerk) Teile der HörbücherHarry Potter und der Gefangene von Askaban“, „Harry Potter und der Halbblutprinz“, „Harry Potter und der Orden des Phönix“ und „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ zum Download angeboten. Die Klägerin mahnte die Beklagte daraufhin zunächst anwaltlich ab. Nach fruchtlosem Verstreichen einer abermaligen Zahlungsaufforderung erhob sie Klage beim Amtsgericht München. Streitgegenständlich ist insbesondere die Frage, ob bereits das Anbieten kleinster Auszüge aus einem Gesamtwerk zur Schadensersatzzahlungspflicht führt.

Das AG München folgte der Ansicht der Klägerin und verurteilte die Beklagte antragsgemäß.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Die zulässige Klage ist begründet.

1. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch aus § 97 II UrhG auf Schadensersatz in Höhe von 900 €. (…)

b) Seitens des Beklagten wurde das Recht der Klägerin der öffentlichen Zugänglichmachung nach §§ 85, 19 a UrhG verletzt. Über den Internetanschluss des Beklagten wurden zwischen dem 26.8.2007 14:13:03 Uhr und dem 29.8.2007 10:17:22 Uhr zu 16 verschiedenen Zeitpunkten Dateien, deren Inhalte die Hörbücher bzw. Teile der Hörbücher „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“, „Harry Potter und der Halbblutprinz“, „Harry Potter und der Orden des Phönix“ und „Harry Potter und die Kammer des Schreckens“ waren, in einer Tauschbörse zum Herunterladen angeboten.

Soweit der Beklagte vorträgt, eine Verletzung der Rechte der Klägerin scheide aus, da es sich bei den im Rahmen von Peer-to-Peer Netzwerken angebotenen Dateien nur um Bruchstücke eines Werkes und insoweit um „Datenmüll“ handele, ist das Gericht der Auffassung dass Gegenstand des Leistungsschutzrechtes aus §§ 85, 19 a UrhG nicht lediglich das Gesamtprodukt sondern auch kleinste Teile des Gesamtprodukts sind. Sinn und Zweck des Leistungsschutzrechtes nach §§ 85, 19a UrhG ist es gerade die Übernahme fremder Leistung generell zu unterbinden. Eine Übernahme fremder Leistung ist generell unzulässig, egal wie klein oder umfangreich der übernommene Teil ist (vgl. Dreier/Schulze UrhG § 85 Rn.25). Insofern ist es für die Verwirklichung einer Urheberrechtsverletzung auch ausreichend wenn lediglich (kleinste) Bruchstücke der streitgegenständlichen Tonträger angeboten wurden.

Dabei besteht eine tatsächliche Vermutung, dass der Beklagte als Inhaber des streitgegenständlichen Internetanschlusses für die über seinen Internetanschluss begangenen Urheberrechtsverletzungen persönlich verantwortlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 12.5.2010, 1 ZR 121/08). Das diesbezügliche pauschale Bestreiten des Beklagten, er habe die Werke nicht heruntergeladen ist nicht geeignet die tatsächliche Vermutung der Verantwortlichkeit des Anschlussinhabers zu widerlegen. Dem Beklagten obliegt diesbezüglich eine sekundäre Darlegungslast. Ein entsprechender Sachvortrag des Beklagten im Rahmen dieser sekundären Darlegungslast erfolgte trotz gerichtlichen Hinweises nicht. Insoweit ist vorliegend von der persönlichen Verantwortlichkeit des Beklagten als Anschlussinhaber für das Angebot der streitgegenständlichen Werke zu Herunterladen in der Tauschbörse auszugehen.

c) Es liegt jedenfalls ein fahrlässiges Handeln vor. An das erforderliche Maß der Sorgfalt sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Danach muss sich wer ein fremdes urheberrechtlich geschütztes Werk nutzen will über den Bestand des Schutzes wie auch über den Umfang seiner Nutzungsberechtigung Gewissheit verschaffen. Insoweit besteht eine Prüfungs- und Erkundigungspflicht (vgl. Dreier/Schulze UrhG § 97 Rn.57) des Beklagten. Der Beklagte hätte sich daher sowohl über die Funktionsweise der Tauschbörse als auch über die Rechtmäßigkeit des Angebots kundig machen und vergewissern müssen. Eine solche Überprüfung hat der Beklagte nach eigenem Vortrag nicht vorgenommen.

d) Der Beklagte ist nach § 97 II UrhG der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet.

Durch das Angebot zum Herunterladen der streitgegenständlichen 4 Hörbücher verursachte der Beklagte einen Schaden in Höhe von € 900,00, welchen das Gericht gemäß § 287 ZPO der Höhe nach schätzt.

Bei der Verletzung von Immaterialgüterrechten, wie hier, ermöglicht die Rechtsprechung dem Verletzten wegen der besonderen Beweisschwierigkeiten, die der Verletzte hat, neben dem Ersatz des konkreten Schadens weitere Wege der Schadensermittlung. Danach kann der Schaden auch in Höhe einer angemessenen Lizenzgebühr berechnet werden (BGH GRUR 1990, 1008, 1009 – Lizenzanalogie). Der Verletzte hat daher das Wahlrecht, wie er seinen Schadenersatzanspruch berechnen will. Vorliegend hat die Klägerin die Berechnung im Wege der Lizenzanalogie gewählt. Bei der Berechnung der angemessenen Lizenzgebühr ist rein objektiv darauf abzustellen, was bei vertraglicher Einräumung der Rechte ein vernünftiger Lizenzgeber gefordert und ein vernünftiger Lizenznehmer gewährt hätte, wenn beide im Zeitpunkt der Entscheidung die gegebene Sachlage gekannt hätten. Diese Schadensberechnung beruht auf der Erwägung, dass derjenige, der ausschließliche Rechte anderer verletzt, nicht besser stehen soll, als er im Falle einer ordnungsgemäß erteilten Erlaubnis durch den Rechtsinhaber gestanden hätte. Damit läuft die Lizenzanalogie auf die Fiktion eines Lizenzvertrages der im Verkehr üblichen Art hinaus. In welchem Ausmaß und Umfang es konkret zu einem Schaden gekommen ist, spielt dabei keine Rolle.

Aufgrund der Spezialisierung des erkennenden Gerichts besitzt das Gericht aus seiner täglichen Arbeit hinreichende eigene Sachkunde um beurteilen zu können, dass der geforderte Schadensersatz von 900 € der Höhe nach angemessen ist. Der Sachvortrag der Klägerin in der Klage bildet hierzu eine ausreichende Schätzgrundlage. Der angesetzte Betrag von € 900,00 für die 4 streitgegenständlichen Werke erscheint angesichts der Funktionsweise der Tauschbörse, die mit jedem Herunterladen eine weitere Downloadquelle eröffnet, absolut angemessen. Das Gericht schätzt daher die angemessene Lizenz gemäß § 287 ZPO auf insgesamt 900 €.

2. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten für die Abmahnung vom 6.12.2007 in Höhe von € 666,00 aus § 97 a I 2 UrhG.

a) Eine Urheberrechtsverletzung des Beklagten hinsichtlich des Leistungsschutzrechts der Klägerin liegt vor, insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 1 a) und b) Bezug genommen. Diese Urheberrechtsverletzung wurde mit Schreiben der Klägervertreter vom 6.12.2007 abgemahnt und der Beklagte zur Abgabe einer Unterlassungserklärung und Zahlung von Schadensersatz aufgefordert.

b) Damit kann die Klägerin von dem Beklagten die Kosten für diese Abmahnung nach § 97 a I 2 UrhG in Höhe von € 666,00 verlangen, da dies die erforderlichen Aufwendungen für die berechtigte Abmahnung darstellen.

Gegen den angesetzten Streitwert von 20.000 € sowie die geltend gemachte 1,0 Gebühr bestehen keine Bedenken. Die Abmahnung erfolgte in Bezug auf 4 Hörbücher und es wurden neben der Unterlassungserklärung auch Schadensersatzansprüche in dem Schreiben vom 6.12.2007 geltend gemacht.

Es kann auch dahinstehen, ob die Klägerin ihrerseits die Anwaltskosten bereits beglichen hat, da dem Anspruch der Klägerin nicht entgegengehalten werden kann, dass sie ihrerseits noch keine Zahlung für die anwaltliche Tätigkeit geleistet hat. Bereits mit Schreiben des Beklagtenvertreters vom 22.10.2010 und erneut in der Klageerwiderung wurde seitens des Beklagten die Erfüllung der geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten endgültig abgelehnt. Damit hat sich der Freistellungsanspruch in einen Erfüllungsanspruch umgewandelt, § 250 S.2 BGB entsprechend.

Soweit der Beklagte vorträgt, es gebe eine Vereinbarung zwischen der Klägerin bzw. der Rechtsvorgängerin der Klägerin und den Klägervertretern, dass die Klägervertreter abmahnen und das Ergebnis dieser Tätigkeit selber behalten dürfen und insofern eine vom RVG abweichende Vereinbarung vorliege, handelt es sich um einen unsubstantiierten Sachvortrag ins Blaue hinein. Es fehlt hier trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises ausreichend konkreter Sachvortrag wer mit wem, wann eine Vereinbarung getroffen habe. Die genauen Umstände müssten im Rahmen einer Beweisaufnahme erst erfragt werden, so dass eine Beweisaufnahme einen Ausforschungsbeweis darstellen würde. Dabei liegt die Darlegungslast auch bei dem Beklagten. Grundsätzlich steht dem Rechtsanwalt der gesetzliche Vergütungsanspruch entsprechend den Vorschriften des RVG zu. Beruft sich der Beklagte auf eine von dieser grundsätzlichen Regel abweichende, ihm günstige Ausnahme, so hat er die diesbezüglichen Voraussetzungen der Ausnahme, das Vorliegen einer abweichenden Vereinbarung, substantiiert darzulegen und zu beweisen. Ein solcher substantiierter Sachvortrag ist jedoch trotz gerichtlichen Hinweises nicht erfolgt. Darüber hinaus habe die beiden in der mündlichen Verhandlung anwesenden Klägervertreter RA … und RAin … auch ausdrücklich den schriftlichen Sachvortrag der Klagepartei, dass mit der Klägerin abrgerechnet werde, bestätigt.

Die Klägerin kann deshalb von dem Beklagten auch die geltend gemachten Kosten für das Rechtsanwaltsschreiben vom 6.12.2007 in Höhe von € 666,00 verlangen.“

Kommentar: Interessant sind die Ausführungen des Gerichts zur Höhe der fiktiven Lizenzgebühr. Das Gericht geht von einem Schadensersatz von 225,00 € pro Rechtsverstoß aus. Überholt dürften die Ausführungen zur Höhe der Anwaltskosten sein. Denn inzwischen gibt es Urteile bzw. Beschlüsse vom AG Hamburg und AG München, die von Streitwerten von 1000,00 € oder zumindest deutlich weniger als hier die angesetzten 20.000 € ausgehen.

Falls Sie abgemahnt wurden, rufen Sie uns an: 05221 1 87 99 40 oder schreiben Sie eine Email an info@ra-dr-graf.de