Rechtsnormen: §§ 208 Abs. 1 Nr. 3, 93 AO

Mit Urteil vom 23.02.2012  (Az. 5 K 397/10) hat das Finanzgericht Hannover entschieden:

  1. Auskunftsersuchen der Finanzbehörden unterliegen allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen. So muss u.a. die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich sein.
  2. Eine Auskunft über den Inhalt elektronisch gespeicherter personenbezogener Daten ist möglich, wenn der um Auskunft Ersuchte tatsächlich über die Speichermedien, auf denen die Daten gespeichert sind, verfügen kann oder einen rechtlichen Anspruch auf Herausgabe der Daten oder auf Auskunft hat.

(Leitsätze des Gerichts)

Zum Sachverhalt:

Das Internet-Verkaufsportal Amazon (Marketplace) wurde vom Finanzamt aufgefordert, Auskunft über Verkäufe Dritter über die Plattform (Zeitraum 2007 bis 2009) zu erteilen, die einen Jahresumsatz von 17500 Euro (Kleinunternehmergrenze) überschritten  (Sammelauskunftsersuchen). Das Finanzamt forderte dabei detaillierte Übersichten über Verkäufe und Umsätze der dritten Unternehmen sowie Erlöse des eigenen Unternehmens. Allerdings betrieb nicht die deutsche Tochtergesellschaft die Plattform, sondern die luxemburgische Amazon-Muttergesellschaft, über deren Seite das Drittanbietergeschäft auch abgewickelt wurde. Gegen das Sammelauskunftsersuchen klagte Amazon Deutschland.

Das Finanzgericht Hannover gab der Klage nun statt.

Nach Ansicht des Gerichts sei es Amazon Deutschland nicht möglich, die ersuchten Auskünfte zu erteilen. So unterliegen die Auskunftsrechte den allgemeinen rechtsstaatlichen Grenzen. Demnach müsse die verlangte Auskunft zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und notwendig sein, die Pflichterfüllung für den Betroffenen möglich und seine Inanspruchnahme erforderlich, verhältnismäßig und zumutbar sein.

Mit Pressemitteilung vom 20.03.2012 führt das Gericht zu den Entscheidungsgründen aus:

„Eine Auskunft über den Inhalt elektronisch gespeicherter personenbezogener Daten – um die es im Streitfall ging – ist nach Auffassung des Finanzgerichts möglich, wenn der um Auskunft Ersuchte tatsächlich über die Speichermedien, auf denen die personenbezogenen Daten gespeichert sind, verfügen kann oder wenn er gegen den Verfügungsberechtigten einen rechtlichen Anspruch auf Herausgabe der Daten oder jedenfalls eine entsprechende Auskunft hat. Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze sei der Klägerin die Erteilung der ersuchten Auskünfte nicht möglich.

In tatsächlicher Hinsicht sei die Auskunft unmöglich, weil die Klägerin nach den Feststellungen des Finanzgerichts mangels Zugriffsberechtigung über keinen eigenen Zugriff auf die im Ausland befindlichen Server verfügt, auf denen die zur Auskunftserteilung benötigten Daten gespeichert sind.

Einen rechtlichen Anspruch gegen die Schwestergesellschaft als Betreiberin des Drittanbietergeschäfts auf Herausgabe der Daten, Erteilung einer Auskunft oder auf Verschaffung einer Berechtigung zum Zugriff auf die elektronischen Speichermedien habe die Klägerin nicht. Ein solcher Anspruch ergibt sich nach Auffassung des Finanzgerichts weder aus dem zwischen ihnen geschlossen Datenverarbeitungsvertrag noch aus dem Umstand, dass es sich bei der Betreiberin des Drittanbietergeschäfts um eine ausländische Schwestergesellschaft der Klägerin handelt. Konkrete gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten der Klägerin konnte das Finanzgericht nicht feststellen. Allein der Umstand, dass die Klägerin und die luxemburgische Schwestergesellschaft Teil eines Konzerns sind, begründet keine solchen Einflussmöglichkeiten. Insofern bezog sich das Finanzgericht auf einen Beschluss des BFH vom 10.05.2001 (I S 3/01 – BFH/NV 2001, 957).

Auf die zwischen den Beteiligten strittige Frage, ob die Finanzbehörde einen hinreichenden Anlass für das Ausbringen des Sammelauskunftsersuchens im Sinne der finanzgerichtlichen Rechtsprechung hatte (vgl. BFH, Urt. v. 16.01.2009 – VII R 25/08 – BStBl II 2009, 582), kam es für die Entscheidung nicht an.“

Kommentar:

Das Hannoveraner Gericht ließ die Revision zum BFH in München wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage ausdrücklich zu. Der BFH wird daher nun wohl zu entscheiden haben, ob ein Sammelauskunftsersuchen des Finanzamts grundsätzlich zulässig ist und wenn ja welche Daten dabei beansprucht werden dürfen. Wenn der BFH die niedersächsische Entscheidung aufheben sollte, könnte es für viele Internetverkäufer, die Plattformen wie Amazon Marketplace oder eBay nutzen und dabei einen Jahresumsatz vom EUR 17500 Euro überschreiten, ein böses Nachspiel haben – allerdings nur, wenn die Umsätze nicht ordnungsgemäß versteuert wurden.