Rechtsnormen: RL 2006/112/EG Erwägungsgrund 4, Art. 1 Abs. 2, 73, 135 Abs. 1, 401; §§ 4 Nr. 9b, 10 Abs. 1 UStG; § 33f GewO; §§ 12 Abs. 2, 13 Abs. 1 SpielV

Mit Beschluss vom 21.09.2012 (Az. 3 K 104/11) hat das Finanzgericht Hamburg entschieden, dass der Kasseninhalt als Bemessungsgrundlage bei Spielgeräteumsätzen gegen den Grundsatz der Proportionalität der Mehrwertsteuer verstößt. Es hat daher dem EuGH mehrere Fragen, die die Umsatzbesteuerung von Spielgerätebetreibern betreffen, vorgelegt.

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin betrieb im Streitzeitraum (Jahr 2010) in sieben Spielhallen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern „Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeit“. Sie wurde durch örtliche Satzungen bzw. durch Hamburger Landesgesetz jeweils zu einer kommunalen Aufwandsteuer herangezogen. Sie erfasste für jedes Gerät monatlich durch Ablesen der Kontrolleinrichtung den Gerätekasse-Bestand und errechnete auf Basis der Bruttoeinnahmen die jeweilige Umsatzsteuer. Gegen die Umsatzsteuerfestsetzung zog sie vor das Finanzgericht. Sie vertritt die Auffassung, die Umsatzbesteuerung der Geldspielgeräteumsätze verstoße gegen Unionsrecht, insbesondere gegen die Grundsätze der Proportionalität, der Abwälzbarkeit und der Neutralität der Mehrwertsteuer, und beantragte daher, den Umsatzsteuerbescheid 2010 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer von EUR 94.978,93 auf EUR 1.790,20 herabgesetzt wird.

Das Finanzgericht folgt in weiten Teilen der Ansicht der Klägerin. Zwecks Klärung der Vereinbarkeit des deutschen Rechts mit dem geltenden Europarecht legt es daher dem EuGH mehrere Fragen vor.

Das FG Hamburg hält es insbesondere für fraglich, ob die Umsatzsteuererhebung für Spielgeräte – wie im streitigen Fall geschehen – mit der Mehrwertsteuerrichtlinie (RL 2006/112/EG) vereinbar ist.

Im Rahmen der Presseerklärung vom 27.09.2012 geht das Gericht auf die Gründe seiner Vorlagefragen ein und betont, dass es hierbei zwei Grundsätze des Mehrwertsteuersystems beachtet: „Nach dem Proportionalitätsgrundsatz der Richtlinie ist die Steuer genau proportional zum Preis der jeweiligen Gegenstände und Dienstleistungen; nach dem Grundsatz der Abwälzbarkeit ist für die Mehrwertsteuer kennzeichnend, dass sie vom Unternehmer auf den Endverbraucher abgewälzt wird. Das Finanzgericht fragt, ob es richtig ist, den monatlichen Kasseninhalt des Spielgeräts zur Bemessungsgrundlage zu nehmen, ohne zu berücksichtigen, wie viel der einzelne Spieler gewonnen oder verloren hat? Und welche Bedeutung kommt den Regelungen in der deutschen Spielgeräteverordnung für die Frage der Abwälzbarkeit zu, die die Höhe des möglichen Verlustes eines Spielers begrenzen und dem Spielgerätebetreiber damit nicht erlauben, die Umsatzsteuer über einen höheren „Preis“ an den Spieler weiterzureichen?

Das Finanzgerichts problematisiert in seinem Vorabentscheidungsersuchen auch den Umstand, dass in Deutschland zwar inzwischen aufgrund einer Entscheidung des EuGH die Umsätze der mit den Spielhallen im Wettbewerb stehenden Spielbanken mit Glücksspielautomaten umsatzsteuerpflichtig geworden sind, ihre Umsatzsteuerschuld aber betragsgenau auf die von ihnen zu zahlende Spielbankabgabe angerechnet wird.“

Kommentar:

Das FG greift schließlich noch eine Äußerung des Generalanwalts beim EuGH aus einem anderen Verfahren auf und stellt die grundsätzliche Frage, ob es das Mehrwertsteuersystem generell  zulässt, dass auf Glücksspiele Umsatzsteuer und Sonderabgaben (z.B. Spielgerätesteuer) nebeneinander erhoben werden. Falls der EuGH den Bedenken aus Hamburg folgt, ist das bisherige deutsche Besteuerungssystem für Spielgeräte nicht haltbar und muss überholt werden. Jedenfalls würden sich die Spielgerätebetreiber bis zum Abschluss einer Reform freuen dürfen und wohl nur die Umsatzsteuer oder die Sonderabgaben zu zahlen haben.