Rechtsnorm: Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001

Mit Urteil vom 6.9.2012 (Az. C-190/1) hat der EuGH entschieden, dass ein Verbraucher einen Händler auch dann in seinem Heimatland gerichtlich in Anspruch nehmen kann, wenn der dem Streit zugrundeliegende Vertrag nicht via Fernabsatzmittel wie Internet, Fax oder Telefon geschlossen wurde.

Zum Sachverhalt:

Eine Österreicherin war auf der Suche nach einem deutschen Pkw für den privaten Gebrauch. Hierzu nutzte sie u.a. einschlägige Suchplattformen wie z.B. mobile.de. Das Angebot der Beklagten erschien ihr am passendsten, sodass sie den Beklagten über die Plattform eine schriftliche Anfrage zukommen ließ. Bei den Beklagten handelt es sich um die Inhaber eines Autohauses mit Sitz in Hamburg. Das fragliche Fahrzeug war nach Aussage des Autohauses nicht mehr verfügbar war; daher wurde der Klägerin ein alternatives Auto angeboten. Ihr wurde zudem erklärt, dass ihre österreichische Staatsangehörigkeit einem Kaufvertrag nicht im Wege stehe. Schließlich fuhr die Klägerin nach Hamburg und kaufte ein Auto zum Preis von 11500 Euro, bezahlte es sogleich und nahm es mit. In der Heimat angekommen bemerkte die Klägerin wesentliche Mängel am Fahrzeug und forderte die Beklagten auf, das Auto zu reparieren. Dies verweigerten die Beklagten, woraufhin die Klägerin die Beklagten vor dem österreichischen LG Wels auf Wandlung verklagte. Die Beklagten hielten dem Antrag der Klägerin entgegen, sie sei keine Verbraucherin. Im Übrigen sei das österreichische Gericht nicht zuständig, der Rechtsstreit müsse – wenn überhaupt – vor einem deutschen Gericht ausgetragen werden. Diese Ansicht teilte das Landgericht und wies die Klage zurück. Das Gericht ging davon aus, dass die Möglichkeit, in Österreich die Website des Autohauses Yusufi aufzurufen, nicht ausreiche, um die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte zu begründen. Das OLG bestätigte diese Entscheidung. Im Revisionsverfahren ging der Oberste Gerichtshof allerdings davon aus, dass die Beklagten ihre Tätigkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 auch auf Österreich ausgerichtet haben, schließlich habe die Website des Autohauses dort aufgerufen werden können. Zudem habe zwischen den Vertragsparteien via Telefon und E-Mail Kontakt bestanden. Der Oberste Gerichtshof setzte das Verfahren daher aus und rief den EuGH zwecks Auslegung der Europarechtsnorm an.

Dieser entschied nun, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen dahin auszulegen ist, dass er nicht verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde.

Das Gericht führt zur Begründung aus:

„Nach ihrem Wortlaut findet diese Bestimmung nämlich Anwendung, wenn zwei spezifische Voraussetzungen erfüllt sind. So ist erstens erforderlich, dass der Gewerbetreibende seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit im Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers ausübt oder sie auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet, und zweitens, dass der streitige Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. (…)  Die weniger restriktive neue Formulierung des alten Art. 13 des Brüsseler Übereinkommens spiegelt sich auch, wie der Generalanwalt in Nr. 17 seiner Schlussanträge ausführt, in Parallelübereinkommen zum Brüsseler Übereinkommen und zur Brüssel‑I‑Verordnung wider, insbesondere in Art. 15 Abs. 1 Buchst. c des Übereinkommens, das dem Beschluss 2007/712/EG des Rates vom 15. Oktober 2007 über die Unterzeichnung – im Namen der Gemeinschaft – des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 339, S. 1) beigefügt ist. Zweitens ist zur teleologischen Auslegung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung festzustellen, dass das zusätzliche Erfordernis eines Vertragsschlusses im Fernabsatz dem mit dieser Bestimmung in ihrer weniger restriktiven neuen Formulierung verfolgten Ziel – Schutz der Verbraucher als der schwächeren Vertragspartei – zuwiderliefe. Drittens hat der Gerichtshof in den Randnrn. 86 und 87 des Urteils Pammer und Hotel Alpenhof zum Vorbringen der Hotel Alpenhof GesmbH, Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung sei nicht anwendbar, weil der Vertrag mit dem Verbraucher an Ort und Stelle und nicht im Fernabsatz geschlossen werde, festgestellt, dass dieses Vorbringen im konkreten Fall ins Leere ging, da die Buchung des Hotelzimmers und ihre Bestätigung tatsächlich im Fernabsatz erfolgt waren. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 36 bis 38 seiner Schlussanträge in der vorliegenden Rechtssache ausgeführt hat, geht der Gerichtshof in den Randnrn. 86 und 87 des Urteils nur auf das Vorbringen der Hotel Alpenhof GesmbH ein, ohne dass diesen Ausführungen eine über die spezifischen Umstände dieser Rechtssache hinausreichende Bedeutung beizumessen wäre. Es bleibt dabei, dass die entscheidende Voraussetzung für die Anwendung von Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung die der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit ist, die auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet ist. Insoweit sind sowohl die Aufnahme von Fernkontakt, wie sie im Ausgangsverfahren erfolgt ist, als auch die Buchung eines Gegenstandes oder einer Dienstleistung im Fernabsatz und erst recht der Abschluss eines Verbrauchervertrags im Fernabsatz Indizien dafür, dass der Vertrag an eine solche Tätigkeit anschließt. Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Brüssel‑I‑Verordnung dahin auszulegen ist, dass er nicht verlangt, dass der Vertrag zwischen Verbraucher und Unternehmer im Fernabsatz geschlossen wurde.“

Kommentar:

Der EuGH stellt fest, dass ein Verbraucher einen im Ausland ansässigen Händler auch dann in seinem Heimatland verklagen kann, wenn der Vertrag nicht via Fernabsatzmittel geschlossen wurde. Weiter muss der Händler seine Tätigkeit auch im Heimatland des Verbrauchers ausüben und die Kaufsache (der Vertragsgegenstand) muss in den Tätigkeitsbereich des Händlers fallen. Im konkreten Fall bot ein deutscher Kfz-Händler einen Pkw über eine online-Plattform an, die auch in Österreich abrufbar war. Diese Möglichkeit reicht dem EuGH, um der klagenden Verbraucherin die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Klage auch vor einem österreichischen Gericht anstreben zu dürfen. Diese Entscheidung gilt natürlich nur für Fälle eines Kaufs um EU-Ausland. Bei einem Kauf in den USA sieht es beispielsweise anders aus, weil sich das Urteil auf EU-Vorschriften stützt, die dort keine Anwendung finden.