Rechtsnormen: Artt. 20, 23 Verordnung (EG) Nr. 1/2003

Mit Urteil vom 22.11.2012 (Az. C-89/11 P) hat der EuGH eine gegen die E.ON Energie AG ausgesprochene Geldbuße iHv 38 Millionen Euro wegen eines Siegelbruchs im Rahmen eines wettbewerbsrechtlichen Ermittlungsverfahrens bestätigt.

Zum Sachverhalt:

Mitte 2006 führte die Europäische Kommission im Rahmen ihrer Ermittlungen wegen des Verdachts wettbewerbswidrigen Verhaltens auf dem deutschen Strommarkt eine Nachprüfung in den Münchner Geschäftsräumen der E.ON Energie AG durch. Da die Prüfung aber nicht an einem Tag abgeschlossen werden konnte, wurden alle Dokumente gesammelt in einen Raum gelegt, der verschlossen und mit einem amtlichen Siegel der Kommission versehen wurde. Beim Verlassen des Gebäudes nahmen die Prüfer den Schlüssel zu diesem Raum mit. Beim Versuch, das Siegel zu entfernen, erscheinen auf der Oberfläche dieses Kunststoffsiegels „VOID“-Schriftzüge. Als die Prüfer am Folgetag den Raum öffnen wollten, stellten sie fest, dass auf dem angebrachten Siegel tatsächlich „VOID“-Schriftzüge zu erkennen waren. Zudem kam später heraus, dass es 20 weitere Generalschlüssel gab, wodurch man den Raum ohne Versiegelung hätte öffnen können.

Nachdem die Kommission von diesen Vorgängen Kenntnis erlangt hatte, verhängte sie Anfang 2008 wegen Bruchs eines bei einer Nachprüfung angebrachten Siegels gegen die E.ON Energie AG eine Geldbuße iHv 38 Millionen Euro.

Das Unternehmen klagte hiergegen. In erster Instanz bestätigte das EuG (Urt. v. 15.12.2010 – Az.  T-141/08) die Entscheidung der Kommission. Hiergegen strebte E.ON das Rechtsmittelverfahren beim EuGH ein.

Der EuGH wies die Klage nun ab.

Nach Ansicht des Gerichts habe das EuG weder in unzulässiger Weise die Beweislast umgekehrt noch gegen die Unschuldsvermutung verstoßen. So habe die Kommission aufgrund eines Bündels von Beweisen einen Siegelbruch festgestellt. Die E.ON Energie AG hätte im Rahmen des Verfahrens Beweise vorlegen müssen, die die Beweise der Kommission widerlegten. Dies sei nicht erfolgt.

Zur Begründung führt der EuGH in seiner Mitteilung vom 22.11.2012 aus:

„Ein Unternehmen könne den Beweiswert eines Siegels nicht unter Berufung auf die bloße Möglichkeit eines Mangels in Frage stellen. Könnte ein solches, nicht durch Beweismittel untermauertes Vorbringen Erfolg haben, würde der Kommission nämlich jede Verwendung von Siegeln unmöglich gemacht. Es sei zudem grundsätzlich allein Sache des EuG, den Wert der ihm vorgelegten Beweise zu beurteilen, da sich die Kontrolle durch den EuGH im Stadium des Rechtsmittelverfahrens auf Rechtsfragen beschränke. Außerdem sei es allein Sache des EuG zu entscheiden, ob die ihm vorliegenden Informationen der Ergänzung bedürfen, so dass E.ON Energie dem EuG nicht zum Vorwurf machen könne, dass es ihrem Antrag auf Durchführung einer ergänzenden Beweisaufnahme nicht stattgegeben habe.

Das Argument von E.ON Energie, das Gericht habe dadurch, dass es die von der Kommission verhängte Geldbuße nicht herabgesetzt habe, gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, sei zurückzuweisen. Der EuGH hat hierzu ausgeführt, nur wenn er der Ansicht wäre, dass die Höhe der Sanktion nicht nur unangemessen, sondern auch dermaßen überhöht sei, dass sie unverhältnismäßig werde, wäre ein Rechtsfehler des EuG wegen der unangemessenen Höhe einer Geldbuße festzustellen.

Das EuG habe keinen Rechtsfehler begangen, als es ausgeführt hat, dass eine Zuwiderhandlung in Form eines Siegelbruchs ihrem Wesen nach besonders schwerwiegend sei. Da die Kommission gegen E.ON Energie eine Geldbuße in Höhe von 10% ihres Jahresumsatzes hätte verhängen können, wenn sie ihr wettbewerbswidrige Praktiken nachgewiesen hätte, kann die wegen des Siegelbruchs verhängte Geldbuße von 38 Mio. Euro, die 0,14% ihres Jahresumsatzes entspricht, in Anbetracht des Erfordernisses, die Abschreckungswirkung dieser Sanktion zu gewährleisten, auch nicht als überhöht angesehen werden.“

Das Urteil ist bereits im Volltext veröffentlicht. Hier einige Auszüge:

„77. Im vorliegenden Fall wirft E.ON Energie dem Gericht vor, dass es Randnr. 181 des Urteils Montecatini/Kommission auf den von ihm in der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Rechtssache zu entscheidenden Fall des Siegelbruchs entsprechend angewandt habe.

78. Soweit E.ON Energie diese entsprechende Anwendung für unzulässig hält, ist festzustellen, dass das Gericht weder in den Randnrn. 55 ff. noch in Randnr. 170 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen hat. Da die Kommission aufgrund eines Bündels von Beweisen, darunter das Siegelbruchprotokoll, einen Siegelbruch festgestellt hatte, war das Gericht nämlich in entsprechender Anwendung des Urteils Montecatini/Kommission zu der Annahme berechtigt, dass es E.ON Energie oblag, Beweise vorzulegen, um diese Feststellung zu erschüttern; dadurch hat das Gericht weder unzulässigerweise die Beweislast umgekehrt noch gegen die Unschuldsvermutung verstoßen.

79. Soweit E.ON Energie im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes mit der Überschreitung der Lagerdauer des streitigen Siegels zu argumentieren versucht, genügt die Feststellung, dass sie sich gegen Tatsachenfeststellungen des Gerichts in Bezug auf verschiedene vorgelegte Beweismittel wendet. Insoweit ist ihr Vorbringen daher nach der in den Randnrn. 64 und 65 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unzulässig.

80. Was das Argument angeht, der Kommission sei eine Ungewissheit hinsichtlich des korrekten Funktionierens des streitigen, im vorliegenden Fall konkret verwendeten Siegels anzulasten, ist darauf hinzuweisen, dass, wie in Randnr. 76 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, als es festgestellt hat, dass E.ON Energie die Beweislast getroffen habe, es sei denn, die Beweisführung wäre ihr wegen des eigenen Verhaltens der Kommission nicht möglich. Nachdem sich das Gericht die zutreffende Rechtsfrage gestellt hatte, hat es sodann auf der Grundlage der ihm vorgelegten Beweismittel in den Randnrn. 57 bis 63, 99 bis 124 und 134 bis 156 des angefochtenen Urteils in der Sache entschieden, dass eine der Kommission anzulastende Ungewissheit nicht nachgewiesen sei, so dass E.ON Energie tatsächlich die Beweislast treffe. Soweit E.ON Energie diese Tatsachenwürdigung des Gerichts beanstandet, ist ihr Vorbringen nach der in den Randnrn. 64 und 65 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unzulässig.“

Kommentar:

Zur vorangegangenen Entscheidung des EuG habe ich einen Beitrag veröffentlicht, der hier abrufbar ist.