Rechtsnormen: Art. 12 Abs. 1 GG, § 93c Abs. 1 S. 1 BVerfGG

Mit Beschluss vom 08.12.2010 (1 BvR 1287/08) hat das BVerfG entschieden, dass die Teilnahme eines Zahnarztes an einem dem Preisvergleich dienenden Internetportal nicht gegen seine zahnärztlichen Berufspflichten verstößt.

Zum Sachverhalt:

Mit seiner Beschwerde wendet sich ein niedergelassener Zahnarzt gegen einen berufsgerichtlichen Verweis infolge seiner Teilnahme an einem Internetportal, in dem Patienten die Möglichkeit eines Angebotsvergleiches gegeben wird. Auf Grundlage eines von ihrem behandelnden Zahnarzt erstellten Heil- und Kostenplans können Patienten in diesem Portal anonym angeben, welche Zahnbehandlung sie in welcher Region suchen. Registrierte Zahnärzte können während der Laufzeit des Inserats unverbindliche Angebote für die Durchführung der Behandlung abgeben. Wenn sich der Patient für einen bestimmten Zahnarzt entscheidet, erhalten beide Seiten wechselseitig die Kontaktdaten. Dem Patienten steht es frei, ob er den ausgewählten Zahnarzt aufsucht oder auch nicht. Im Rahmen der Untersuchung erstellt der Zahnarzt ein verbindliches Angebot in Form eines Heil- und Kostenplans oder eines Kostenvoranschlags für die begehrte Behandlung. Dieses Angebot kann sich mit seiner Kostenschätzung decken oder auch davon abweichen. Nachdem bereits das Berufsgericht für Zahnärzte gegen den Zahnarzt mit der Begründung, die Abgabe einer Kostenschätzung ohne vorherige Untersuchung verstoße gegen „die Pflicht des Zahnarztes, seinen Beruf nach den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen“ einen Verweis aussprach, bestätigte auch die Berufungsinstanz (Landesberufungsgericht für Zahnärzte) das erstinstanzliche Urteil. So dürften Zahnärzte generell ohne persönliche Untersuchung keine Kostenschätzung abgeben.

Nun hob das Bundesverfassungsgericht die Urteile der Berufsgerichte auf:

Nach Ansicht des Karlsruher Senats verletze das Urteil den Zahnarzt in seiner durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsfreiheit.

Zur Begründung führen die Verfassungsrichter aus:

„Es ist nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG zu vereinbaren, dass das Gericht das Fehlen einer persönlichen Untersuchung des Patienten vor der Abgabe der Kostenschätzung als Verletzung einer Berufspflicht beurteilt. Denn es sind keine Gründe des Gemeinwohls zu erkennen, nach denen eine solche Untersuchung im konkreten Fall geboten gewesen wäre.

Das Landesberufsgericht stellt lediglich pauschal darauf ab, dass das persönliche Verhältnis zwischen Patient und Behandler die Besonderheit der Berufsausübung eines Zahnarztes ausmache. Ein konkreter, sachverhaltsbezogener Grund, warum bereits in diesem Stadium der Anbahnung der Arzt-Patienten-Beziehung ein persönlicher Kontakt vorhanden sein muss, wird nicht genannt. Insbesondere erfolgt weder eine nähere Auseinandersetzung mit der Funktionsweise des Internetportals noch mit dem Umstand, dass bereits ein Befund- und Behandlungsplan, an dem sich der die Kostenschätzung einstellende Zahnarzt orientieren kann, vorhanden ist. (…) Dass dennoch eine persönliche Untersuchung für eine Kostenschätzung erforderlich sein soll, die nach den klaren Vorgaben des Portals zudem nicht verbindlich ist, leuchtet nicht ein. Das Landesberufsgericht berücksichtigt bei seiner Argumentation insbesondere nicht hinreichend, dass das Bestehen einer persönlichen Beziehung zwischen Zahnarzt und Patient kein Selbstzweck ist, sondern dazu dient, für den Patienten eine sachgerechte, seine Interessen wahrende Behandlung sicherzustellen. Dagegen handelt es sich nicht um ein Erfordernis, das den Zahnarzt vor Konkurrenz durch Kollegen schützen soll. Zwar ist es richtig, dass die Entwicklung eines Vertrauensverhältnisses ein wesentlicher Faktor für die Aufnahme einer zahnärztlichen Behandlung ist. Die Entwicklung eines solchen Vertrauensverhältnisses wird durch die Nutzung der Internetplattform freilich keineswegs ausgeschlossen; denn wenn sich der Patient für einen der Zahnärzte, die auf der Plattform eine Kostenschätzung abgegeben haben, entscheidet, folgt ohnehin eine persönliche Untersuchung, aufgrund der der Zahnarzt nunmehr einen verbindlichen Heil- und Kostenplan oder Kostenvoranschlag erstellt. Ab diesem Zeitpunkt unterscheidet sich das Behandlungsverhältnis dann auch grundsätzlich nicht mehr von jenen, die auf „traditionelle“ Weise zustande gekommen sind. Die Internetplattform erleichtert damit letztlich für den Nutzer nur den Preisvergleich und die Kontaktanbahnung. Beides sind aber Aspekte, die dem Patientenschutz nicht entgegenstehen und die daher nicht geeignet sind, eine Beschränkung der Berufsfreiheit zu rechtfertigen.

(…)  Es wird nicht verkannt, dass ein Zahnarzt nach dem Grundprinzip einer Internetplattform, die als „virtueller Marktplatz“ funktioniert, zunächst eine vergleichsweise niedrige Kostenschätzung abgeben muss, um überhaupt die Chance zu haben, von einem Nutzer ausgewählt zu werden. Hieraus alleine folgt jedoch noch keine Beeinträchtigung von Gemeinwohlbelangen, die ein Verbot rechtfertigen könnte. Denn ohne konkrete gegenteilige Anhaltspunkte muss zunächst davon ausgegangen werden, dass ein Zahnarzt schon aus Eigeninteresse Leistungen nur zu Preisen anbietet, die für ihn gewinnbringend sind. Soweit in den angefochtenen Entscheidungen die Gefahr von so genannten „Lockvogelangeboten“ – also der Methode, einen Patienten mit einem besonders günstigen, nicht kostendeckenden Angebot mit dem Ziel in die Praxis zu locken, ihm gegenüber weitere lukrativere Leistungen zu erbringen und abzurechnen – erörtert wird, mag ein solches Vorgehen von Plattformteilnehmern nicht auszuschließen sein, es kann aber auch nicht als Regelfall unterstellt werden. (…)

Entgegen der Stellungnahme der Landeszahnärztekammer ist es auch nicht mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, eine im Internet abgegebene Kostenschätzung generell als berufsrechtswidrige Werbung im Sinne von § 21 Abs. 1 BO zu qualifizierten.“

Kommentar: Noch immer müssen sich Ärzte und andere Angehörige freier Berufe mit falschen Entscheidungen von Berufsgerichten oder unterinstanzlichen Gerichten herumschlagen. Obwohl schon seit mindestens 15 Jahren geklärt ist, dass nicht die Berufsfreiheit, sondern deren Einschränkung einer Rechtfertigung bedarf, gibt es immer noch grundrechtswidrige Entscheidungen, gegen die sich die Betroffenen mit Verfassungsbeschwerden zur Wehr setzen müssen. Daher eine in vollem Umfang zu begrüßende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts.