Das BVerfG hat mit Beschluss vom 17.08.2010 (Az. 1 BvR 2585/06) entschieden, dass die herabsetzende Kritik der Bundeszentrale für Politische Bildung an einem wissenschaftlichen Aufsatz zum Thema Antisemitismus verfassungswidrig ist.

Zum Sachverhalt:

Beschwerdeführer ist ein emeritierter Professor der Politikwissenschaft. In der Zeitschrift „Deutschland Archiv“, die ein privater Verlag im Auftrag der Bundeszentrale für Politische Bildung herausgibt, erschien 2004 ein von ihm verfasster Aufsatz mit dem Titel „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“. Thema des Aufsatzes befasst ist u.a. die Verbreitung des Antisemitismus in der deutschen Bevölkerung während der NS-Zeit. Es wird die These vertreten, dass die Mehrheit der Deutschen seinerzeit nicht antisemitisch eingestellt gewesen sei, sondern mit den verfolgten Juden sympathisiert habe, wobei unter anderem von einer „deutsch-jüdischen Symbiose unter dem Hakenkreuz“ gesprochen wird. Die Bundeszentrale erlangte erst nach Auslieferung der Zeitschrift an mehrere tausend Abonnenten Kenntnis vom Inhalt des Aufsatzes und richtete umgehend ein Schreiben an die Abonnenten, in dem sie die Veröffentlichung des Aufsatzes, durch den sie ihre eigene Arbeit „desavouiert“ sehe, „außerordentlich“ bedauere und versichere, dass dieser „einmalige Vorgang“ sich nicht wiederholen werde; so werde der Rest der betreffenden Auflage der Zeitschrift makuliert. Das Schreiben endet mit einer Entschuldigung gegenüber allen Lesern, „welche sich durch den Beitrag verunglimpft fühlen“.

Der Beschwerdeführer sieht in dem Schreiben der Bundeszentrale eine Rufschädigung als Wissenschaftler und fühlt sich als Mensch herabgesetzt. Nachdem seine Klage vor den Verwaltungsgerichten in allen Instanzen erfolglos blieb, erhob er hiergegen Verfassungsbeschwerde.

Das BVerfG hob nun alle vorinstanzlichen Urteile auf und folgte dem Beschwerdebegehren:

Das beanstandete Schreiben der Bundeszentrale für Politische Bildung werde ihrer Aufgabe, die Bürger mit Informationen zu versorgen und dabei Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren, nicht gerecht und verletze den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dieser Grundrechtsverletzung.

Das Verfassungsgericht begründet seine Entscheidung:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch den Schutz vor solchen Äußerungen, die – ohne im engeren Sinne ehrverletzend zu sein – geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen des Einzelnen in der Öffentlichkeit auszuwirken. Eine solche Herabsetzung geht von der abschätzigen Kommentierung des Aufsatzes in dem beanstandeten Schreiben der Bundeszentrale aus. Er wird als Autor eines Aufsatzes dargestellt, der nicht mehr diskursiv erörtert, sondern nur noch makuliert werden kann, was vor dem Hintergrund des sensiblen Themas Antisemitismus eine erhebliche Stigmatisierung des Betroffenen mit sich bringen kann. Die Bundeszentrale kann sich nicht wie Private auf Grundrechte wie etwa die Meinungsfreiheit berufen. Sie nimmt als Anstalt des öffentlichen Rechts für die Bundesregierung die Aufgabe wahr, die Bürger mit solchen Informationen zu versorgen, deren diese zur Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung bedürfen. Im Rahmen ihres Bildungsauftrags ist sie zwar nicht gehalten, alle grundrechtlich geschützten Meinungen formal gleich zu behandeln; vielmehr kann sie insoweit auch wertende Unterscheidungen treffen, wobei es ihr grundsätzlich nicht verwehrt ist, Extremmeinungen am Rande des politischen Spektrums nicht zu berücksichtigen und sie als solche zu bezeichnen. Da zu den Grundlagen ihrer eigenen Tätigkeit auch das öffentliche Vertrauen in die eigene Glaubwürdigkeit und Integrität gehört, kann es ein legitimes Interesse darstellen, sich von ihr zuzurechnenden Beiträgen, die von dem Anspruch einer ausgewogenen Informationstätigkeit auffällig abweichen, weil sie etwa extreme oder extremistische Meinungen vertreten, zu distanzieren, um so die eigene Reputation wiederherzustellen. Hierbei hat die Bundeszentrale jedoch Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren. Von vorneherein ausgeschlossen sind insoweit jedenfalls öffentliche Äußerungen gegenüber Einzelnen, die allein dem Bestreben dienen, eine behördliche Auffassung, namentlich eine von der Bundeszentrale für richtig gehaltene spezifische Geschichtsinterpretation zur Geltung zu bringen und als einzig legitim oder vertretbar hinzustellen.

So sei hier nicht ersichtlich, dass das Schreiben der Bundeszentrale den ihr einzuräumenden Einschätzungs- und Handlungsspielraum wahrt und als nach den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderliche und angemessene Reaktion auf den Artikel des Beschwerdeführers angesehen werden kann. Weder hinsichtlich der Ankündigung der Makulierung noch hinsichtlich der Entschuldigung für eine etwaige Verunglimpfung ist erkennbar, dass diese von dem legitimen Zweck gedeckt sein können.

Vgl. hierzu auch Pressemitteilung Nr. 87/2010 des Bundesverfassungsgerichts vom 28. September 2010.