Rechtsnorm: Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 GG

Mit Beschluss vom 25.01.2012 (Az. 1 BvR 2499/09, 1 BvR 2503/09) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass es keine Regelvermutung dahingehend gibt, dass bei der Berichterstattung über junge Prominente stets das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber der Meinungsfreiheit vorrangig ist.

Zum Sachverhalt:

Das Verfassungsgericht hatte Entscheidungen des LG und OLG Hamburg zu überprüfen, die es der Beschwerdeführerin, der Verlegerin der „Sächsischen Zeitung“, untersagten, Berichte über die Söhne des Schauspielers Uwe Ochsenknecht zu verbreiten und auf ihrer Internetseite zu veröffentlichen. Im Rahmen der Berichterstattung aus dem Jahr 2008 wurde unter der Überschrift „Polizei schnappt Ochsenknecht-Söhne“ geschrieben, die Ochsenknecht-Söhne Jimi Blue und Wilson Gonzalez Ochsenknecht seien dabei beobachtet worden, wie sie in der sogenannten „Freinacht“ zusammen mit einer Gruppe von Freunden Fahrräder traktierten, Blumen aus einem Blumenbeet herausrissen sowie den Telefonhörer in einer Telefonzelle abrissen. Weiter wurde ausgeführt, nach Feststellung ihrer Personalien auf der Polizeiwache seien sie wieder entlassen worden und es sei kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Die Zeitung führte zudem aus, „die beiden Nachwuchsschauspieler und -sänger sind nach wüster Randale in der Münchener Innenstadt von der Polizei verhört worden“. Gegen diese Berichterstattung ging die Familie Ochsenknecht vor und klagte auf Unterlassung. Beide Instanzen (LG Hamburg,  Urt. v. 13.02.2009, Az. 324 O 554/08 und 324 O 555/08; OLG Hamburg, Urt. v. 01.09.2009, Az. 7 U 32/09 und 7 U 33/09) gaben den Klägern Recht.

Das Bundesverfassungsgericht hob diese Entscheidungen nun auf verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Hamburg zurück.

Nach Ansicht der Karlsruher Verfassungshüter sei der Zeitungsverlag in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt worden, da vorliegend die Meinungsfreiheit des Verlags dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Ochsenknecht-Kinder überwiege. Die von den Zivilgerichten angeführte Regelvermutung eines grundsätzlichen Vorrangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, sobald schutzbedürftige Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen in Rede stehen, sei aus verfassungsrechtlicher Sicht zu eng und undifferenziert und übergehe insbesondere das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Auslegung und berücksichtige das „Öffentlichkeitsimage“ im Wege ihrer schauspielerischen Tätigkeit der Kläger als „wilde Kerle“ zu wenig.

Zur Begründung führt das Gericht im Einzelnen aus:

„Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin jeweils in ihrem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

Unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur Werturteile, sondern auch Tatsachenbehauptungen, wenn und soweit sie zur Bildung von Meinungen beitragen (vgl. BVerfGE 85, 1 <15>). Dies ist hier der Fall. (…) Durch die angegriffenen Urteile, die ihnen die streitgegenständlichen Äußerungen untersagen, wird die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin eingeschränkt.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt. Es findet seine Schranke in den allgemeinen Gesetzen, zu denen die hier von den Gerichten angewandten Vorschriften der § 823 Abs.1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG gehören. Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind Sache der Fachgerichte, die hierbei jedoch das eingeschränkte Grundrecht interpretationsleitend berücksichtigen müssen, damit dessen wertsetzender Gehalt auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleibt (vgl. BVerfGE 120, 180 <199 f.>; stRspr). Dies verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits (BVerfGE 114, 339 <348>). Das Ergebnis der Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. BVerfGE 99, 185 <196>). Das Bundesverfassungsgericht ist auf eine Nachprüfung begrenzt, ob die Zivilgerichte den Grundrechtseinfluss ausreichend beachtet haben (vgl. BVerfGE 101, 361 <388>). Die Fachgerichte lassen hier zunächst eine Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, in welcher Bedeutung und mit welchem Gewicht der Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger betroffen ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG schützt insbesondere vor einer Beeinträchtigung der Privat- oder Intimsphäre. Des Weiteren schützt es vor herabsetzenden, vor allem ehrverletzenden Äußerungen (vgl. BVerfGE 54, 148 <155>). (…) Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG bietet hier nicht schon davor Schutz, überhaupt in einem Bericht individualisierend benannt zu werden, sondern nur in spezifischen Hinsichten (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. September 2010 – 1 BvR 1842/08 u.a. -, ZUM-RD 2010, S. 657). (…) Hier ist zwar naheliegend, dass der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, weil der Bericht über die Verfehlungen der Kläger geeignet ist, diese in ihrem öffentlichen Ansehen herabzusetzen. Es geht vorliegend allerdings lediglich um eine Wortberichterstattung über einen unstreitigen Vorfall. Insoweit aber gibt das allgemeine Persönlichkeitsrecht ihnen nicht den Anspruch, nur so von anderen dargestellt zu werden, wie sie sich selber sehen oder gesehen werden möchten (vgl. BVerfGE 101, 361 <380> m.w.N.). Dabei (vgl. BVerfGE 101, 361 <385>) ist vorliegend auch zu berücksichtigen, dass durch den Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger berührt ist. Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist hier überdies auch dadurch verringert worden, dass die Kläger insbesondere über das Fernsehen die Öffentlichkeit unstreitig oft gesucht, ein Image als „Junge Wilde“ gepflegt und ihre Idolfunktion kommerziell ausgenutzt haben und so ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben. Es ist nicht ersichtlich, dass die Fachgerichte diese Umstände ausreichend in ihre Erwägungen zur Reichweite des Schutzes des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingestellt hätten. Bei der Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin einerseits und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Kläger andererseits ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Presse zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. November 2006 – VI ZR 259/05 -, NJW-RR 2007, S. 619). Verfehlungen auch konkreter Personen aufzuzeigen gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien (vgl. Burkhardt, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 10 Rn. 154). Bei Tatsachenberichten hängt die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen darüber hinaus vom Wahrheitsgehalt ab, und wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl. BVerfGE 99, 185 <196>). Auf Seiten der Kläger ist anderseits zweifelsohne ihr junges beziehungsweise jugendliches Alter in die Erwägungen einzubeziehen. Junge Leute bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen (vgl. BVerfGE 101, 361 <385>). (…) Die von den Fachgerichten angenommene Regelvermutung des grundsätzlichen Vorrangs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gegenüber der Meinungsfreiheit, sobald schutzbedürftige Interessen von jungen Erwachsenen beziehungsweise Jugendlichen in Rede stehen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht zu eng und undifferenziert. Sie übergeht das Erfordernis einer einzelfallbezogenen Auslegung und berücksichtigt vorliegend das „Öffentlichkeitsimage“ der Kläger zu wenig.“

Kommentar:

Da das Verfassungsgericht einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit des Verlags erkannte und somit die Urteile der Zivilgerichte kippen konnte, ließ es offen, ob die vorherigen Entscheidungen auch unter Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG  ergingen.

Das LG Hamburg hat nun in einem neuen Verfahren die Karlsruher Entscheidung zu berücksichtigen und wird wohl zum Ergebnis kommen, dass die Presseberichterstattung zulässig war.