Rechtsnormen: § 2 Abs. 4 HmbPSchG; Art. 12 Abs. 1, 3 Abs. 1 GG

Mit Beschluss vom 24.01.2012 (Az. 1 BvL 21/11) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass auch Speisegaststätten die Errichtung von abgeschlossen Raucherräumen möglich sein muss. Ein Ausschluss, wie er im Hamburgischen Passivraucherschutzgesetz geregelt ist, ist verfassungswidrig.

Zum Sachverhalt:

Das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz (HmbPSchG) verbietet das Rauchen in Gaststätten mit Ausnahme von kleinen Einraumgaststätten (maximal 75 m²), die als reine Schankwirtschaften betrieben werden, grundsätzlich. Gemäß § 2 Abs. 4 HmbPSchG darf darüber hinaus in reinen Schankgaststätten durch Schaffung abgetrennter Raucherbereiche teilweise geraucht werden. Diese Möglichkeit gilt in Hamburg jedoch nicht für Speisegaststätten. Diese strikte Trennung zwischen Speise- und  Schankgaststätte ist bundesweit einmalig.

Klägerin ist die Inhaberin einer Gastwirtschaft, die Teil des Autobahn-Autohofes Altenwerder ist. Hier bietet sie Getränke und Speisen an. Der Rastplatz dient insbesondere Lkw-Fahrern zur Einhaltung ihrer Ruhepausen. 2010 beantragte die Klägerin bei der Stadt Hamburg eine Ausnahmegenehmigung vom Rauchverbot des § 2 Abs. 1 HmbPSchG für einen kleinen Gastraum, um diesen als Raucherraum nutzen zu können. Zur Begründung führte sie aus, etwa 80% ihres Umsatzes mache sie mit Lkw-Fahrern, von diesen seien mindestens 95% Raucher. Da ein vollständiges Rauchverbot ohne Ausnahmegenehmigung zu einem Umsatzrückgang von etwa 60% führen würde, bedrohe dies ihre wirtschaftliche Existenz. Es sei davon auszugehen, dass die Lkw-Fahrer nach Niedersachsen oder Schleswig-Holstein ausweichen, wo Raucherräume erlaubt seien. Die Stadt Hamburg lehnte den Antrag ab, woraufhin die Klägerin Klage beim VG Hamburg erhob.

Das VG Hamburg hält § 2 Abs. 4 HmbPSchG für unvereinbar mit dem Grundrecht der Klägerin auf Berufsausübungsfreiheit in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgebot (Art. 12 Abs. 1 iVm Art. 3 Abs. 1 GG). Nach Ansicht des Gerichts verletzte die Regelung, nach der in Kneipen die Einrichtung eines separaten Raucherraumes möglich sei, nicht aber in Gaststättenbetrieben, insbesondere den in Art. 3 Abs. 1 GG garantierten Gleichheitsgrundsatz. Es legte daher mit Beschluss vom 10.08.2011 dem BVerfG die Sache zur Normenkontrolle vor.

Das Bundesverfassungsgericht teilt nun die Auffassung des Hamburger Gerichts.

Nach Ansicht des ersten Senats habe das Verfassungsgericht bereits in seinem Urteil vom 30.07.2008 (Az. 1 BvR 3262/07) dem Grundsatz nach entschieden, dass das das Rauchverbot in Gaststätten in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber eingreife.

Konkret auf die fragliche hamburgische Norm bezogen stellt das Gericht fest, dass die in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG bestimmte Unterscheidung zwischen Schank- und Speisewirtschaften zur Folge habe, dass „Betreibende von Speisewirtschaften nicht in freier Ausübung ihres Berufs das Angebot ihrer Gaststätten auch für rauchende Gäste attraktiv gestalten können, was erhebliche wirtschaftliche Nachteile insbesondere für eher getränkegeprägte Speisegaststätten nach sich ziehen kann.“

Eine sachliche Rechtfertigung sei nach Ansicht der Verfassungshüter nicht ersichtlich, insbesondere fehle es an einen hinreichend gewichtigen Grund für die Differenzierung.

Zur Begründung führt das Verfassungsgericht in seiner Mitteilung vom 21.02.2012 im Einzelnen aus:

„1. Als Differenzierungsgrund reiche nicht allein die Tatsache aus, dass die unterschiedliche Regelung für Schank- und Speisewirtschaften das Ergebnis eines politischen Kompromisses der damaligen Regierungsfraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft war.

2. Die unterschiedliche Behandlung lasse sich ferner nicht durch Gründe des Gesundheitsschutzes rechtfertigen. Im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit des Gaststättenpersonals fehle es an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen diesem Regelungsziel und der vom Gesetzgeber gewählten Differenzierung zwischen Speise- und Schankgaststätten. Denn nicht nur in Speise-, sondern auch in Schankwirtschaften seien Angestellte beschäftigt, die die Gäste in dort zulässigen Raucherräumen bedienen und hierbei den Gefahren des Passivrauchens ausgesetzt werden. Mit dem Schutz der Gesundheit der nichtrauchenden Gäste könne die Ungleichbehandlung ebenfalls nicht gerechtfertigt werden. Es würden keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgebracht, nach denen die Verbindung von Essen und Passivrauchen zu einer besonderen Schadstoffbelastung der nichtrauchenden Gäste führt. Aber selbst wenn man dies unterstellte, ergäbe sich daraus keine Rechtfertigung, den Betreibenden von Speisewirtschaften die für andere Gaststätten bestehende Möglichkeit vorzuenthalten, Raucherräume einzurichten. Die Gäste könnten sich zum Essen in Nichtraucherbereichen aufhalten, von denen nach den gesetzlichen Vorgaben die Raucherräume so wirksam abzutrennen sind, dass eine Gefährdung durch Passivrauchen ausgeschlossen wird.

Die Erwägung, dass durch den Ausschluss von Raucherräumen in Speisegaststätten eine größere Anzahl von Menschen den Gefahren des Passivrauchens entzogen wird, könnte ebenfalls keinen sachlich vertretbaren Differenzierungsgrund liefern. Denn das Regelungsziel, die Anzahl der Gelegenheiten zum Rauchen zu reduzieren, stünde in keinem inneren Zusammenhang mit der Unterscheidung von Speise- und Schankwirtschaften.

3. Die Ungleichbehandlung von Speise- und Schankgaststätten ließe sich auch nicht mit einer etwaigen unterschiedlichen wirtschaftlichen Betroffenheit durch ein Rauchverbot rechtfertigen. Insoweit fehle es bereits an einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Für den – allein von der Regelung betroffenen – Bereich derjenigen Gaststätten, die über die baulichen Möglichkeiten zur Einrichtung eines Nebenraums für rauchende Gäste verfügen, lasse sich nicht feststellen, dass reine Schankwirtschaften typischerweise in erheblichem Umfang wirtschaftlich stärker durch ein Rauchverbot belastet würden als Gaststätten, in denen auch zubereitete Speisen angeboten werden oder angeboten werden dürfen.

Die Annahme einer generell wirtschaftlich stärkeren Belastung der Schankwirtschaften im Vergleich zu den Speisewirtschaften als Differenzierungsgrund könne auch nicht auf das Urteil des BVerfG vom 30.07.2008 (1 BvR 3262/07) gestützt werden, mit dem es Regelungen über Rauchverbote in Gaststätten für unvereinbar mit der Berufsausübungsfreiheit erklärt hatte, weil sie die getränkegeprägte Kleingastronomie unverhältnismäßig belasteten. Maßgebend für die Unterscheidung war ausdrücklich nicht die Ausrichtung solcher Eckkneipen bzw. Einraumgaststätten als Schwankwirtschaften, sondern dieser spezielle Gaststättentypus, der in besonderer Weise durch rauchende Stammgäste geprägt ist und für den daher bei einem Rauchverbot existentielle Umsatzeinbußen zu befürchten sind. Allein in diesem Zusammenhang wurde das unterschiedliche gastronomische Angebot als eines von mehreren Unterscheidungsmerkmalen herangezogen und bei der Schilderung der Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers wieder aufgenommen.“

Kommentar:

Konsequenz dieses Beschluss ist, dass bis zur Schaffung einer neuen gesetzlichen Grundlage unter Anwendung der bisherigen Norm auch Speisegaststätten abgeschlossene Raucherräume errichten dürfen. Auch wenn man anhand der Presseschlagzeilen den Eindruck bekommen haben sollte, dass es eine verfassungsmäßige Pflicht zur Einrichtung von Raucherräumen in Gaststätten gibt, ist dieses Urteil so keineswegs zu verstehen. Das entscheidende Problem war der faule politische Kompromiss, der zwischen Schank- und Speisewirtschaft unterscheidetet. Das hatte natürlich keine gesundheitlichen Gründe, wie auch das BVerfG sachlich feststellt. Ein komplettes Rauchverbot für alle Gaststätten wäre verfassungsgemäß. Die Einrichtung von Raucherräumen schafft nur Umsetzungsprobleme. Denn eine 100%ige Absicherung der Nichtraucher vor den Schadstoffen wird sich in der Praxis kaum realisieren lassen.