Rechtsnormen: Art. 5 Abs. 1, Art 14 GG; Art. 11 EUGrdRCh; Art. 6 EGRL 29/2001; § 95a Abs. 3 UrhG; § 823 Abs. 2 BGB

Mit Beschluss vom 15.12.2011 (Az. 1 BvR 1248/11) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, die Verfassungsbeschwerde der Musikindustrie gegen das BGH-Urteil „AnyDVD“ vom 14.10.2010 nicht zuzulassen. Damit ist die Entscheidung des BGH rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof entschied seinerzeit:

„Sind in einem im Internet veröffentlichten, seinem übrigen Inhalt nach dem Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit unterfallenden Beitrag elektronische Verweise (Links) auf fremde Internetseiten in der Weise eingebettet, dass sie einzelne Angaben des Beitrags belegen oder diese durch zusätzliche Informationen ergänzen sollen, so werden auch diese Verweise von der Presse- und Meinungsfreiheit umfasst.“  (Leitsatz des BGH)

Zum Sachverhalt:

Ein jahrelanger Rechtsstreit ist nun zuende gegangen. Es klagten Vertreter der Musikindustrie (u.a. die Unternehmen BMG, Edel, EMI, Sony, Universal und Warner), die Inhaber von Bild- und Tonträgerrechten an Musik-CDs und -DVDs sind, gegen den Verlag Heise, der unter anderem die Computer-Zeitschrift „c’t“ herausgibt und unter der Internetadresse www.heise.de den Nachrichtendienst „heise online“ betreibt. Der beklagte Verlag veröffentlichte bei seinem Dienst „heise online“ einen Artikel über ein Programm zur Umgehung technischer Schutzmaßnahmen, die Software „AnyDVD“. In diesem Zusammenhang machte Heise unter anderem auch auf eine Rechtswidrigkeit der Software durch die Umgehung des Kopierschutzes aufmerksam und verlinkte die Internetpräsenz des Herstellers dieser Software mit dem Artikel.

Die Kläger sehen mit dieser Verlinkung eine Unterstützung der Verbreitung und gar eine „verbotene Werbung“ zum Verkauf der AnyDVD-Software. Im Ergebnis habe Heise gegen § 95 a UrhG verstoßen und sei zur Unterlassung verpflichtet, so die Musikindustrie.

Nachdem die Vorinstanzen der Klage stattgaben, revidierte der BGH eine Entscheidung des OLG München und wies die Klage ab. Der Bundesgerichtshof stellte im Ergebnis fest, den Klägerinnen stehe kein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 2, 830 Abs. 2 BGB iVm § 95 a Abs. 3 UrhG zu, da die beanstandeten Handlungen des Beklagten vom Recht auf freie Meinungsäußerung und freie Berichterstattung (Art. 6 Abs. 2 EUV iVm Art. 11 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta, Art. 5 Abs. 1 S. 1 bzw. 2 GG) voll umfasst seien.

Hiergegen legte die Musikindustrie nun das allerletzte Mittel ein, die Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführerinnen rügten dabei eine Verletzung ihres durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechts des geistigen Eigentums.

Das BVerfG entschied nun, die VB nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr komme weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu noch sei sie zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt. Es könne dahinstehen, ob sie wegen Fehlens einer verfassungsrechtlich tragfähigen und damit ausreichend substantiierten Begründung (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) bereits unzulässig sei. Jedenfalls besitze die Verfassungsbeschwerde keine Erfolgsaussicht in der Sache.

Zur Begründung führt das Gericht aus:

„Auch in urheberrechtlichen Streitigkeiten ist es allerdings regelmäßig nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, den Zivilgerichten vorzugeben, wie sie im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 19. Juli 2011 – 1 BvR 1916/09 Le-Corbusier-Möbel -, ZUM 2011, S. 825, Rn. 87). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist vielmehr erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind, insbesondere weil darunter die Abwägung der beiderseitigen Rechtspositionen im Rahmen der privatrechtlichen Regelung leidet (vgl. BVerfGE 89, 1 <9 f.>; 95, 28 <37>; 97, 391 <401>; 112, 332 <358 f.>). (…)

Mangels einer gesetzlichen Regelung hat die Abwägung der konkurrierenden Grundrechtspositionen anhand der anerkannten presserechtlichen und urheberrechtlichen Maßstäbe zu erfolgen, wie sie von der Rechtsprechung herausgearbeitet worden sind. So verfährt auch der Bundesgerichtshof im angegriffenen Urteil. Seine Grundrechtsabwägung begegnet dabei keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. (…)

So begegnet es keinen Bedenken, dass der Bundesgerichtshof das Setzen eines Links in einem Online-Artikel wegen seiner Einbettung in eine pressetypische Stellungnahme neben der Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG unterstellt. Denn es ist Teil des meinungsbildenden Diskussionsprozesses, dessen Schutz Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im Sinn hat, sich und andere auch über Stellungnahmen Dritter zu informieren (vgl. BVerfGE 85, 1 <22>). Die Pressefreiheit schützt – insoweit darüber hinausgehend – auch die bloß technische Verbreitung von Äußerungen Dritter, selbst soweit damit keine eigene Meinungsäußerung des Verbreiters verbunden ist (vgl. BVerfGE 21, 271 <278 f.>). (…)

Schließlich bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Erwägung des Bundesgerichtshofs, gerade die Schwere des in Frage stehenden Verstoßes könne ein besonderes Informationsinteresse begründen. Entgegen der Darstellung in der Verfassungsbeschwerde behauptet der Bundesgerichtshof nicht, schon das durch die Schwere des Rechtsverstoßes ausgelöste Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertige ohne Weiteres die Linksetzung. Der Bundesgerichtshof wendet sich vielmehr umgekehrt gegen die Meinung der Vorinstanz, ein schwerer Urheberrechtsverstoß gebiete schon für sich ein Zurücktreten der Pressefreiheit.

Zutreffend nimmt der Bundesgerichtshof in seiner Abwägung zusätzlich in den Blick, dass die Linksetzung als solche den Eingriff in Urheberrechte nicht erheblich vertiefe, weil die Seite des Softwareherstellers auch über eine Suchmaschine problemlos gefunden werden könne.“