Rechtsnormen: Art. 83, Art. 138 Abs. 1b EuPatÜbk, Art. 2 § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜbkG, § 99 Abs. 1 PatG, § 533 Nr. 1 ZPO

Der BGH hat mit Urteil vom 11.05.2010 (Az. X ZR 51/06 (BPatG)) entschieden:

1. Die Einbeziehung eines weiteren Nichtigkeitsgrundes (hier: unzureichende Offenbarung) in der Berufungsinstanz, nachdem die Nichtigkeitsklage vor dem Bundespatentgericht nur auf einen oder mehrere andere der in Art. 138 Abs. 1 EPÜ, Art. 2 § 6 Abs. 1 IntPatÜbkG aufgeführten Nichtigkeitsgründe gestützt war, stellt eine Klageänderung (objektive Klagehäufung) im Sinne der Vorschrift des § 533 Nr. 1 ZPO dar, welche nach § 99 Abs. 1 PatG auch im Patentnichtigkeitsverfahren anwendbar ist.

2. Der Nichtigkeitskläger trägt die Beweislast dafür, dass es dem Fachmann auch nach Kenntnisnahme der Angaben in der Beschreibung und der Zeichnungen der Patentschrift nicht möglich ist, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens ohne unzumutbare Schwierigkeiten auszuführen.

(Leitsätze des Gerichts)

Zum Sachverhalt:

Die Klägerin griff mit ihrer Klage ein Patent der Beklagten (lediglich deutscher Anteil eines europäischen Patents) mit einer Nichtigkeitsklage vor dem BPatG an. Sie machte geltend, der Gegenstand des Patentanspruchs sei nicht neu und beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Vor dem Bundespatentgericht hatte die Klägerin mit ihrer Darlegung nur teilweise Erfolg und legte daher Berufung vor dem BGH ein. So macht sie weiterhin geltend, dass der gesamte Anspruch des streitigen Patents nicht patentfähig sei.

Zwecks näherer Prüfung holte der BGH ein Sachverständigengutachten ein. Hieran anschließend machte die Klägerin zusätzlich geltend, dass der Anspruchsgegenstand des streitigen Patents nicht deutlich und vollständig offenbart sei, sodass ein Fachmann ihn ohne gravierende Probleme ausführen könne. Die Beklagte sieht hierin eine Klageänderung, der sie nicht zustimmt.

Nun entschied der BGH, die Einbeziehung des weiteren Nichtigkeitsgrundes „unzureichende Offenbarung“ in der Berufungsinstanz als zulässig anzuerkennen. So stelle dies eine Klageänderung in Form einer objektiven Klagehäufung dar. Damit sei der Anwendungsbereich des § 533 ZPO eröffnet. Gemäß § 99 Abs. 1 PatG könne dieser auch im Patentnichtigkeitsverfahren angewendet werden. Nach § 533 Nr. 1 ZPO ist eine Klageänderung in der Berufungsinstanz nur dann zulässig, wenn sie sachdienlich ist oder der Gegner einwilligt. Der  BGH nimmt Sachdienlichkeit an,  da die hiermit einhergehenden Fragestellungen im laufenden Verfahren mit behandelt werden könnten und somit eine neue Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des streitigen Patents vermieden werden könne. Auch komme es zu keiner zeitlichen Verzögerung, da die Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen im Verhandlungstermin dazu genutzt werden könne, offene Fragen auch hinsichtlich des Nichtigkeitsgrundes der fehlenden Offenbarung zu klären.

Allerdings wies der BGH die Berufung insgesamt zurück, da der Gegenstand des fraglichen Patents in der Fassung des BPatG-Urteils neu, erfinderisch und auch hinreichend offenbart sei.

Kommentar:

Vorliegend schließt sich der BGH der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung des BPatG an. So hatte sich das BPatG bereits 1993 mit der Frage zu beschäftigen, welcher Nichtigkeitsgrund für eine Patentnichtigkeitsklage und die Überprüfung der Patentfähigkeit von Amts wegen bei einem europäischen Patent maßgebend sein kann (vgl. BPatG, Urt. v.  30.03.1993 (Az. 3 Ni 13/92 (EU)), GRUR 1995, 394-396).

Der BGH stellt nun fest: Das Vorbringen eines neuen Nichtigkeitsgrundes stellt eine Klageänderung dar. Hiermit erteilen die Bundesrichter auch der teilweise vertretenen Auffassung, das BPatG müsse alle Nichtigkeitsgründe von Amts wegen prüfen, eine Absage.