Einen wirklich als radikal zu bezeichnenden Schwenk hat der BGH in Bezug auf seine Rechtsprechung zum Urheberrecht vollzogen. Bislang hatten Urheber/Künstler keine Chance, Urheberrechtsschutz für Werke der sog. angewandten Kunst in Anspruch zu nehmen. Dabei geht es um Gegenstände des (täglichen) Gebrauchs. Im entschiedenen Fall war es ein Spielwaren-Zug. Begründet wurde dies damit, dass es für derartige Gegenstände den Geschmacksmusterrechtsschutz gebe. Dazu müsse sozusagen „Abstand“ gehalten werden in Form erhöhter Anforderungen an die sog. Schöpfungshöhe. Im Jahre 2004 gab es allerdings eine Reform des Geschmacksmusterrechts. Danach war eine besondere Gestaltungshöhe des Werkes nicht notwendig, um Geschmacksmusterschutz zu erlangen.

Das hat der BGH nun zum Anlass genommen, seine Rechtsprechung anzupassen:

„Da zudem Geschmacksmusterschutz und Urheberrechtsschutz sich nicht ausschließen, sondern nebeneinander bestehen können, rechtfertigt der Umstand, dass eine Gestaltung dem Geschmacksmusterschutz zugänglich ist, es nicht, ihr den Urheberrechtsschutz zu versagen oder von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen. An den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst sind deshalb – so der Bundesgerichtshof – grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Es genügt daher, dass sie eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer „künstlerischen“ Leistung zu sprechen. Dies gilt auch für die im Jahr 1998 angefertigten Entwürfe der Klägerin. Die Klägerin hat allerdings nach Ansicht des Bundesgerichtshofs keinen Anspruch auf Vergütung, soweit die Beklagte ihre Entwürfe vor dem Inkrafttreten des Geschmacksmusterreformgesetzes am 1. Juni 2004 verwertet hat. Bis zu diesem Zeitpunkt durfte die Beklagte im Blick auf die hergebrachte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf vertrauen, wegen einer Verwertung dieser Entwürfe nicht auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Anspruch genommen zu werden.“


Praktische Konsequenz:

1. Urheber, die für ihr Werk kein Geschmacksmusterrecht besitzen, können sich unter Umständen jetzt auf das Urheberrecht stützen. Mit allen damit verbundenen Möglichkeiten: Unterlassungsansprüche, Schadensersatzansprüche.

2. Das Geschmacksmusterrecht wird nicht überflüssig. Denn dieser setzt überhaupt keine Gestaltungshöhe voraus. Außerdem führt die Eintragung eines Geschmacksmusters zu einer Umkehr der Beweislast im Prozess zugunsten des Inhabers.

BGH, Urteil vom 13. November 2013 – I ZR 143/12 – Geburtstagszug

Pressemitteilung des BGH