Rechtsnormen: §§ 101 Abs. 2 Satz 1, 101 Abs. 9 UrhG; § 3 Nr. 30 TKG

Mit Beschluss vom 19.04.2012 (Az. I ZB 80/11) hat der BGH hat entschieden, dass der Rechteinhaber eines urheberrechtlich geschützten Werkes gegenüber dem Internet-Provider regelmäßig einen Anspruch auf Mitteilung der persönlichen Daten (Name, Anschrift) eines Nutzers hat, der ein urheberrechtlich geschütztes Musikstück offensichtlich unberechtigt in eine Online-Tauschbörse eingestellt hat.

Zum Sachverhalt:

Antragstellerin ist ein Musikvertriebsunternehmen, dem die Naidoo Records GmbH das ausschließliche Recht eingeräumt hat, die Tonaufnahmen des Musikalbums „Xavier Naidoo – Alles kann besser werden“ einschließlich auszukoppelnder Singles über Download-Portale und Online-Tauschbörsen anzubieten und somit öffentlich zugänglich zu machen. Veröffentlicht wurde das Album Ende 2009. Unter anderem enthält es den Titel „Bitte hör nicht auf zu träumen“; dieser wurde Ende 2010  als Singleauskoppelung veröffentlicht. Die Antragstellerin beauftragte eine GmbH, online-Tauschbörsen hinsichtlich möglicher Urheberrechtsverstöße zu überwachen. Die beauftragte GmbH verfügt über eine Software, mit der festgestellt werden kann, über welchen Internetanschluss eine bestimmte Datei zum Download angeboten wird.

Die Telekom (Anspruchsgegnerin) weist ihren Internetnutzern als Internet-Provider (dynamische) IP-Adressen zu.

Gemäß §§ 101 Abs. 2 Satz 1, 101 Abs. 9 UrhG beantragt die Antragstellerin, der Telekom zu gestatten, ihr unter Verwendung von Verkehrsdaten im Sinne des § 3 Nr. 30 TKG über den Namen und die Anschrift derjenigen Nutzer Auskunft zu erteilen, denen die genannten IP-Adressen zu den jeweiligen Zeitpunkten zugewiesen waren.

In erster Instanz lehnte das LG Köln (Beschluss vom 29.09.2011 – 213 O 337/11) den Antrag ab. Auch das Beschwerdeverfahren blieb ohne Erfolg. So nahm das OLG Köln (Beschluss vom 02.11.2011 – 6 W 237/11) an, eine entsprechende Anordnung setze eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß voraus; diese könne aber hinsichtlich des Musiktitels „Bitte hör nicht auf zu träumen“ nicht nachgewiesen werden.

Im Revisionsverfahren hob der BGH nun beide vorherigen Entscheidungen auf und gab dem Antrag statt.

Zur Begründung führt der BGH in seiner Mitteilung vom 10.08.2012 aus:

„Der in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung (im Streitfall das offensichtlich unberechtigte Einstellen des Musikstücks in eine Online-Tauschbörse) gegebene Anspruch des Rechtsinhabers aus § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG auf Auskunft gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat (im Streitfall die Deutsche Telekom AG als Internet-Provider), setzt nicht voraus, dass die rechtsverletzende Tätigkeit das Urheberrecht oder ein anderes nach dem Urheberrechtsgesetz geschütztes Recht in gewerblichem Ausmaß verletzt hat. Aus dem Wortlaut der Bestimmung und der Systematik des Gesetzes ergebe sich eine solche Voraussetzung nicht. Sie widerspräche auch dem Ziel des Gesetzes, Rechtsverletzungen im Internet wirksam zu bekämpfen. Dem Rechtsinhaber stünden Ansprüche auf Unterlassung und Schadensersatz nicht nur gegen einen im gewerblichen Ausmaß handelnden Verletzer, sondern gegen jeden Verletzer zu. Er wäre faktisch schutzlos gestellt, soweit er bei Rechtsverletzungen, die kein gewerbliches Ausmaß aufweisen, keine Auskunft über den Namen und die Anschrift der Verletzer erhielte. In den Fällen, in denen – wie im Streitfall – ein Auskunftsanspruch nach § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG besteht, hat das Gericht dem Dienstleister auf dessen Antrag nach § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG zu gestatten, die Auskunft über den Namen und die Anschrift der Nutzer, denen zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte IP-Adressen zugewiesen waren, unter Verwendung von Verkehrsdaten zu erteilen. Ein solcher Antrag setze gleichfalls kein gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung voraus, sondern sei unter Abwägung der betroffenen Rechte des Rechtsinhabers, des Auskunftspflichtigen und der Nutzer sowie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in aller Regel ohne weiteres begründet.“

Im Einzelnen führt der BGH in seiner Urteilsbegründung aus:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein solcher Antrag unter Abwägung der betroffenen Grundrechte und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch verfassungsrechtlich zulässig.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fällt die identifizierende Zuordnung dynamischer IP-Adressen in den Schutzbereich des durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützten Fernmeldegeheimnisses. Soweit der Gesetzgeber die Telekommunikationsunternehmen dazu verpflichtet, auf diese Daten zurückzugreifen und sie auszuwerten, liegt darin ein Eingriff in das Grundrecht des Art. 10 Abs. 1 GG, und zwar nicht nur dann, wenn die Diensteanbieter die Verbindungsdaten selbst herausgeben müssen, sondern auch dann, wenn sie diese für eine Auskunft nutzen müssen (BVerfG, NJW 2012, 1419 Rn. 116 – Bestandsdatenspeicherung). Für Auskunftsansprüche von Rechtsinhabern gegenüber Diensteanbietern hinsichtlich der Anschlussinhaber bestimmter IP-Adressen, für deren Ermittlung auf vorsorglich gespeicherte Telekommunikationsdaten zurückgegriffen werden muss, müssen allerdings nicht von Verfassungs wegen die sonst für die Verwendung solcher Daten geltenden besonders strengen Voraussetzungen vorliegen (BVerfGE 125, 260 Rn. 254 – Vorratsdatenspeicherung). Von Bedeutung ist hierfür zum einen, dass die Rechtsinhaber selbst keine Kenntnis der vorsorglich zu speichernden Daten erhalten. Sie erhalten im Rahmen solcher Auskunftsansprüche nicht die vorsorglich anlasslos gespeicherten Daten selbst, sondern lediglich personenbezogene Auskünfte über den Inhaber eines bestimmten Anschlusses, der von den Diensteanbietern unter Rückgriff auf diese Daten ermittelt wurde. Dabei bleibt die Aussagekraft dieser Daten eng begrenzt. Systematische Ausforschungen über einen längeren Zeitraum oder die Erstellung von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen lassen sich allein auf Grundlage solcher Auskünfte nicht verwirklichen (BVerfGE 125, 260 Rn. 256 – Vor-43 ratsdatenspeicherung). Maßgeblich ist zum anderen, dass für solche Auskünfte nur ein von vornherein feststehender kleiner Ausschnitt der Daten verwendet wird, deren Speicherung für sich genommen unter deutlich geringeren Voraussetzungen angeordnet werden könnte als die nahezu vollständige Speicherung der Daten sämtlicher Telekommunikationsverbindungen (BVerfGE 125, 260 Rn. 257 – Vorratsdatenspeicherung). (…)

Nach diesen Maßstäben ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Bestimmung des § 101 Abs. 9 Satz 1 UrhG in Verbindung mit der Regelung des § 101 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 UrhG die Verwendung von Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung in den Fällen gestattet, in denen – wie hier – ein Auskunftsanspruch wegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung gegen eine Person besteht, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbracht hat. Bei der Regelung handelt es sich um eine fachrechtliche Eingriffsermächtigung, die eine hinreichend klare Entscheidung des Gesetzgebers enthält, unter welchen Voraussetzungen eine Verwendung von Verkehrsdaten zur Identifizierung von dynamischen IP-Adressen erlaubt ist. Die Vorschrift genügt auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Sie ist die Grundlage für ein Auskunftsverfahren, das die Zuordnung von Telekommunikationsnummern zur Ermittlung von Urheberrechtsverletzungen im Internet ermöglicht. Dazu ist die Bestimmung nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise maßvoll ausgestaltet. Sie stellt sicher, dass eine Auskunft nicht ins Blaue hinein, sondern nur bei einer offensichtlichen Rechtsverletzung eingeholt werden kann. Dabei ist der Auskunftsanspruch mit Blick auf die besondere Schutzwürdigkeit von Verkehrsdaten und im Interesse der Internet-Provider und Telekommunikationsunternehmen, die von der Prüfung entlastet werden sollen, ob eine offensichtliche Rechtsverletzung vorliegt, unter einen – verfassungsrechtlich nicht einmal gebotenen (vgl. BVerfGE 125, 260 Rn. 261 – Vorratsdatenspeicherung) – Richtervorbehalt gestellt (BT-Drucks. 16/5048, S. 40). Die Verwendung der Verkehrsdaten zur Auskunftserteilung soll die Durchsetzung der ebenfalls mit Verfassungsrang nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechte von Urhebern und Inhabern anderer nach dem Urheberrechtsgesetz geschützter Rechte ermöglichen, die ansonsten den Rechtsverletzer nicht ermitteln könnten und damit faktisch schutzlos gestellt wären. Die Rechte der Internet-Provider und Telekommunikationsunternehmen treten demgegenüber zurück. Zwar greift die Verpflichtung zur Erteilung von Auskünften unter Verwendung von Verkehrsdaten in deren durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit ein (vgl. BVerfGE 125, 260 Rn. 294 f. – Vorratsdatenspeicherung). Dieser Eingriff ist jedoch im Blick auf die Zielsetzung der Auskunftspflicht nicht übermäßig belastend und daher verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Auskunftsanspruch nur besteht, wenn der Internet-Provider oder das Telekommunikationsunternehmen in gewerblichem Ausmaß Dienstleistungen erbracht hat, die für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt wurden. Die betroffenen Rechte der Nutzer haben gleichfalls geringeres Gewicht. In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung ist der Verletzer, über den der Dritte Auskunft erteilen soll, nicht mehr schutzwürdig (BT-Drucks. 16/5048, S. 39). Seine Rechte werden durch die Auskunftserteilung nicht in besonders schwerwiegender Weise beeinträchtigt (vgl. oben Rn. 45).“

Kommentar Dr. Graf: Der BGH geht über die Anspruchsgrundlage des § 101 a UrhG hinaus. Nicht damit zu verwechseln ist die Frage, ob ein derartiger Verstoß ein einfach gelagerter Fall des § 97 a UrhG ist, was eine Beschränkung der Abmahnungskosten des Abgemahnten auf 100,00 EUR nach sich zieht.